Die Handelsdiplomatie war ihre Welt, seit Jahrzehnten. Ende Woche tritt Seco-Direktorin Marie-Gabrielle Ineichen-Fleisch nun 61-jährig ab. Über ein Jahrzehnt leitete sie das Staatssekretariat für Wirtschaft mit rund 800 Mitarbeitenden, wo die Fäden der Wirtschaftspolitik zusammenlaufen. Hier werden Freihandelsverträge mit anderen Ländern aufgegleist und Regeln für den hiesigen Arbeitsmarkt definiert.
Die erste Frau mit dem Titel Staatssekretärin war zuvor Botschafterin, Delegierte für Handelsverträge und Chef-Unterhändlerin der Schweiz bei der Welthandelsorganisation WTO.
Grosse diplomatische Fähigkeiten
«Frau Ineichen-Fleisch hat unbestritten hohe diplomatische Fähigkeiten. Sie kann bei Handelsreisen sehr gut die Interessen der Schweiz vertreten», sagt Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbands economiesuisse.
Das gleiche Lob hört man auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums, vom St. Galler SP-Ständerat Paul Rechsteiner. Sie sei eine begabte Handelsdiplomatin, bestätigt er und ergänzt zugleich: «Es ist nicht die grosse Zeit des Freihandels im Moment. Die Musik weltweit und auch für die Schweiz spielt dann doch nicht mehr hier.»
Kritik von links an der Seco-Struktur
Der langjährige ehemalige Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds kritisiert, dass sich das Seco und ihre Direktorin zu stark um die internationalen Handelsbeziehungen gekümmert hätten und zu wenig um den inländischen Arbeitsmarkt. So sei das Seco etwa bei den Covid-Hilfen für Unternehmen unverständlicherweise auf die Bremse getreten. Aus ideologischen Gründen, so mutmasst er, weil staatliche Unterstützung für die Wirtschaft beim Seco generell nicht gern gesehen werde.
Das Seco ist 1999 entstanden aus dem Zusammenschluss des international aufgestellten Bundesamts für Aussenwirtschaft und des auf die inländische Wirtschaft ausgerichteten Bundesamts für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Biga).
Rechsteiner bekämpfte diesen Zusammenschluss bereits damals und sieht sich heute bestätigt: «Es kam wie befürchtet: Die Handelsdiplomatie stand im Vordergrund. Dazu sehr ideologisiert neoliberale Rezepte. Die Binnenwirtschaft und die Anliegen der Sozialpartnerschaft und der Arbeitsmarkt gerieten in den Hintergrund.» Daher würde Rechsteiner das Seco am liebsten wieder in zwei Ämter aufsplitten.
Wirtschaftsdachverband widerspricht
Das sei Unsinn, entgegnet Rudolf Minsch von economiesuisse und verweist darauf, dass die Schweiz rund die Hälfte ihrer Wirtschaftsleistung im Ausland erzielt: «Die Weltwirtschaft ist dermassen wichtig für den Standort Schweiz, dass man sich nicht nur auf die Binnenwirtschaft konzentrieren kann. Eine solche Aufteilung ist künstlich und wäre falsch.»
Auch den Vorwurf, im Seco seien Ideologen am Werk, lässt Minsch nicht gelten. Er beschreibt den Dialog von economiesuisse mit der Behörde und ihrer Chefin als kritisch, aber konstruktiv. Wobei klar ist, dass das Seco den Anliegen des Wirtschaftsdachverbands wohl nähersteht als jenen der Gewerkschaften.