Asbest bei Eternit - Der Fall Schmidheiny – das müssen Sie wissen
Der Schweizer Industrielle Stephan Schmidheiny ist in Italien erneut verurteilt worden. Er soll für Tausende Todesfälle verantwortlich sein. Die wichtigsten Antworten.
Am Mittwoch sprach das Regionalgericht im italienischen Novara eine Haftstrafe von zwölf Jahren gegen Stephan Schmidheiny wegen der fahrlässigen Tötung von 147 Menschen aus. Das Urteil reiht sich ein in eine juristische Saga, die sich über mittlerweile fast 40 Jahre zieht.
Die «Eternit bis»-Verfahren
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Das Urteil von Novara ist der dritte Gerichtsentscheid in einem mehrteiligen Vorgehen der italienischen Jusitz seit 2016, das sich mit den Umständen in drei ehemaligen Eternit-Werken befasst. Schmidheinys Verteidigung hat angekündigt, dagegen Rekurs einzulegen.
Ein Urteil wegen der fahrlässigen Tötung eines Arbeiters im Werk Cavagnolo wurde bereits vor einem Jahr gefällt: Auch hier wurde Schmidheiny verurteilt. Im Februar reduzierte ein Gericht jedoch das Strafmass aufgrund mildernder Umstände. Auch gegen dieses Urteil geht die Verteidigung in Rekurs.
Im Fall der vorsätzlichen Tötung von sechs Arbeitnehmern und zwei Anwohnern in der Region Neapel sprach ein Gericht im April in erster Instanz ein Urteil von dreieinhalb Jahren aus. Die Verteidigung Schmidheinys hat dagegen Rekurs eingereicht.
Der Hintergrund:
Schmidheiny stieg in den 1970er-Jahren im Unternehmen seines Vaters ein. Die Eternit-Gruppe war in mehr als 20 Ländern aktiv – allein in Italien an vier Standorten. 1973 hatte man die Mehrheit am Werk in Casale Monferrato im Piemont erworben. Zu Spitzenzeiten arbeiteten dort bis zu 2000 Personen in der Asbestverarbeitung und stellten Rohre oder Dachplatten her. Eternit Italia wird von der italienischen Justiz vorgeworfen, zwischen 1966 und 1986 für den Tod oder die Erkrankung von mehr als 3000 Arbeitern und Anwohnern verantwortlich zu sein.
Die Firma Eternit:
Die Ursprünge des Familiengeschäfts gehen bis in die 1860er-Jahre zurück, als der Grossvater von Stephan Schmidheiny eine Ziegelei gründete. Ab dem frühen 20. Jahrhundert kam die Asbestverarbeitung hinzu. In Holderbank AG baute die Familie zudem ein Zementwerk auf, aus dem später die Firma Holcim werden sollte. 1974 stieg der damals 26-jährige Stephan in das Geschäft ein. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Gruppe. In der Schweiz unterhielt Eternit Fabriken in Niederurnen im Kanton Glarus und in Payerne. Vater Max Schmidheiny starb 1991 als einer der reichsten Schweizer. 1997 ging die Schweizer Eternit-Sparte im Holcim-Konzern auf, die Fabriken in Niederurnen und Payerne waren zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft worden.
Die Gefahr Asbest:
Der Baustoff war jahrzehntelang beliebt, denn er war praktisch, günstig und feuerfest. Dass Asbest gefährlich für die Gesundheit ist, war jedoch schon früh kein Geheimnis mehr. Wer Asbestfasern einatmet, muss Lungenkrebs und Mesotheliom – ein Krebs des Brust- und Bauchfells – fürchten. Dies bewiesen Wissenschaftler Anfang der 1960er-Jahre. Seither starben Zehntausende Menschen an diesen Krankheiten. Die Folgen des Kontakts mit dem Stoff machen sich oft erst Jahrzehnte später bemerkbar. In der Schweiz verjährten darum viele Ansprüche nach zehn Jahren – anders als in Italien, wo die Verjährung erst ab Ausbruch der Krankheit oder dem Tod gilt.
Der Fall Eternit: Eine Chronologie
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1986:
Die italienische Eternit SpA geht Konkurs. Die Fabrik in Casale Monferrato wird stillgelegt. Ein Teil der Konkursmasse wird 20 Jahre später auf Anordnung eines Gerichts Mitarbeitern und deren Angehörigen zugesprochen – rund 3000 Franken pro Person.
1992:
Das lokale Eternit-Management in Italien wird letztinstanzlich der fahrlässigen Tötung schuldig gesprochen. Die Haftstrafen werden später in Geldstrafen umgewandelt.
2005:
Ein Anwalt erstattet in der Schweiz Anzeige gegen Unbekannt sowie die beiden Schmidheiny-Brüder wegen fahrlässiger Tötung im Zusammenhang mit den Eternit-Fabriken in Niederurnen und Payerne.
2006:
Ein Glarner Untersuchungsrichter beschliesst, dass die Fälle wegen Verjährung eingestellt werden sollen.
2007:
Die Turiner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Stephan Schmidheiny. Angehörige von rund 2000 Opfern reichen eine Schadensersatzklage ein.
2008:
Das Bundesgericht bestätigt, dass bei Asbest-Fällen der Zeitpunkt der Berufstätigkeit bestimmend ist in der Frage der Verjährung – und nicht der Ausbruch der Krankheit.
2009:
Am Strafgericht in Turin startet der Prozess gegen Stephan Schmidheiny und den ehemaligen belgischen Mitbesitzer der Eternit SpA.
2012:
Die beiden werden zu je 16 Jahren Haft verurteilt. Sie seien für ein Umweltdesaster sowie den Tod oder die Erkrankung von rund 3000 Personen verantwortlich. Schmidheiny legt Berufung ein.
2013:
Ein Gericht in Turin erhöht in zweiter Instanz das Strafmass für Stephan Schmidheiny auf 18 Jahre.
2014:
Der italienische Generalstaatsanwalt beantragt die Annullierung des Urteils von Turin aufgrund der Verjährung der Umweltschäden nach der Schliessung des Werks in Casale im Jahr 1986. Das Oberste Gericht in Rom heisst den Antrag einige Monate später gut.
2016:
Die Staatsanwaltschaft Turin nimmt erneut Untersuchungen im Fall Schmidheiny/Eternit auf.
2019:
Schmidheiny wird von einem Gericht in Turin in erster Instanz zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt. Sein Anwalt ficht das Urteil an.
2022:
Stephan Schmidheiny wird in Turin wegen der Aktivitäten der Eternit-Niederlassung in Cavagnolo (Turin) verurteilt und mit einer Strafe von dreieinhalb Jahren belegt. Die Familie eines verstorbenen Mitarbeiters hatte Klage erhoben.
Februar 2023:
Das Turiner Appellationsgericht revidiert den Entscheid aus dem Jahr 2019. Stephan Schmidheiny erhält eine Strafmilderung. Neu beläuft sich das Strafmass auf ein Jahr und acht Monate.
Juni 2023:
Ein Gericht in der italienischen Stadt Novara spricht Stephan Schmidheiny schuldig, für den Tod von 147 Menschen verantwortlich zu sein und verurteilt ihn zu zwölf Jahren Haft. Das Urteil kann nach italienischem Recht angefochten werden.
Die Schuldfrage:
Die Anwälte von Stephan Schmidheiny haben stets argumentiert, dass ihr Mandant keine direkte Verantwortung für die operative Leitung der Werke in Italien getragen habe. Ab den späten 1970er-Jahren sei er zudem dafür verantwortlich gewesen, dass Eternit Asbest-Alternativen auf den Markt brachte und das Ende der Verarbeitung vorbereitete. Die Angestellten in Casale hatten sich zu diesem Zeitpunkt gemäss eigenen Angaben aber bereits seit längerer Zeit für eine Verbesserung der Sicherheitsbedingungen im Werk eingesetzt. Die Fabrik musste anschliessend jahrelang gesäubert werden, bevor sie endgültig abgerissen werden konnte.
Zur Person:
Bereits Ende der 1980er-Jahre hatte Stephan Schmidheiny seine Eternit-Anteile verkauft. In den folgenden Jahren war er mit einem Holz- und Röhrenkonglomerat in Südamerika aktiv, wo er zum Teil auch lebte. 2003 zog er sich ganz aus den Geschäftstätigkeiten zurück. Über die Jahre sass er im Verwaltungsrat mehrerer Schweizer Grossunternehmen (ABB, UBS, Nestlé). Mitte der 1980er war er unter anderem zusammen mit Nicolas Hayek an der Swatch-Gründung beteiligt. Sein Vermögen wird aktuell vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf 2.3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Neben der Kunst hat er sich der Philanthropie verschrieben. Zusammen mit seiner Frau Viktoria soll er in den vergangenen Jahrzehnten über eine Milliarde Franken für wohltätige Zwecke gespendet haben. 1992 engagierte er sich für die UNO an der Weltklimakonferenz in Rio de Janeiro. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht. Stephan Schmidheiny ist 75 Jahre alt.
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