Am Mittwoch sprach das Regionalgericht im italienischen Novara eine Haftstrafe von zwölf Jahren gegen Stephan Schmidheiny wegen der fahrlässigen Tötung von 147 Menschen aus. Das Urteil reiht sich ein in eine juristische Saga, die sich über mittlerweile fast 40 Jahre zieht.
Der Hintergrund: Schmidheiny stieg in den 1970er-Jahren im Unternehmen seines Vaters ein. Die Eternit-Gruppe war in mehr als 20 Ländern aktiv – allein in Italien an vier Standorten. 1973 hatte man die Mehrheit am Werk in Casale Monferrato im Piemont erworben. Zu Spitzenzeiten arbeiteten dort bis zu 2000 Personen in der Asbestverarbeitung und stellten Rohre oder Dachplatten her. Eternit Italia wird von der italienischen Justiz vorgeworfen, zwischen 1966 und 1986 für den Tod oder die Erkrankung von mehr als 3000 Arbeitern und Anwohnern verantwortlich zu sein.
Die Firma Eternit: Die Ursprünge des Familiengeschäfts gehen bis in die 1860er-Jahre zurück, als der Grossvater von Stephan Schmidheiny eine Ziegelei gründete. Ab dem frühen 20. Jahrhundert kam die Asbestverarbeitung hinzu. In Holderbank AG baute die Familie zudem ein Zementwerk auf, aus dem später die Firma Holcim werden sollte. 1974 stieg der damals 26-jährige Stephan in das Geschäft ein. Zwei Jahre später übernahm er die Leitung der Gruppe. In der Schweiz unterhielt Eternit Fabriken in Niederurnen im Kanton Glarus und in Payerne. Vater Max Schmidheiny starb 1991 als einer der reichsten Schweizer. 1997 ging die Schweizer Eternit-Sparte im Holcim-Konzern auf, die Fabriken in Niederurnen und Payerne waren zu diesem Zeitpunkt bereits verkauft worden.
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Bild 1 von 10Legende: Die Marke Eternit hatte bis im vergangenen Jahr Bestand. 2022 wurde das Unternehmen von einer dänischen Firma übernommen. KEYSTONE/Alessandro Della Bella
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Bild 2 von 10Legende: Das Eternit-Produktionsgelände in Niederurnen GL im Jahr 2003 KEYSTONE/Martin Ruetschi
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Bild 3 von 10Legende: In der Produktionsstätte wurden unter anderem Blumenkisten produziert (Bild: März 2003) KEYSTONE/Martin Ruetschi
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Bild 4 von 10Legende: Asbesthaltige Eternitplatten wurden noch jahrelang aus Norditalien in die Schweiz gebracht und im Kanton Zug deponiert und mit Erde bedeckt (30.10.06) KEYSTONE/Urs Flueeler
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Bild 5 von 10Legende: Stephan Schmidheiny im Jahr 1997. KEYSTONE/MARTIN RUETSCHI
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Bild 6 von 10Legende: Luftaufnahme der Eternit-Anlage in Casale Monferrato im Piemont (01.01.2006) IMAGO / Milestone Media
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Bild 7 von 10Legende: Asbest-Sanierung bei der Eternit AG in Niederurnen (Bild: 1995) KEYSTONE/STR
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Bild 8 von 10Legende: Stephan Schmidheiny wehte spätestens ab Prozessbeginn in Turin 2012 ein eisiger Wind in der italienischen Öffentlichkeit entgegen (13.02.12) REUTERS/Giorgio Perottino/File Photo
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Bild 9 von 10Legende: Treibende Kraft hinter dem Prozess 2012 war der Turiner Staatsanwalt Raffaele Guariniello. Der Schuldspruch für Schmidheiny war eine Genugtuung. (13.02.12) EPA/TONINO DI MARCO
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Bild 10 von 10Legende: Auch bei den Angehörigen-Organisationen war die Freude nach dem Urteil in Turin gross. (13.02.2012) REUTERS/Giorgio Perottino
Die Gefahr Asbest: Der Baustoff war jahrzehntelang beliebt, denn er war praktisch, günstig und feuerfest. Dass Asbest gefährlich für die Gesundheit ist, war jedoch schon früh kein Geheimnis mehr. Wer Asbestfasern einatmet, muss Lungenkrebs und Mesotheliom – ein Krebs des Brust- und Bauchfells – fürchten. Dies bewiesen Wissenschaftler Anfang der 1960er-Jahre. Seither starben Zehntausende Menschen an diesen Krankheiten. Die Folgen des Kontakts mit dem Stoff machen sich oft erst Jahrzehnte später bemerkbar. In der Schweiz verjährten darum viele Ansprüche nach zehn Jahren – anders als in Italien, wo die Verjährung erst ab Ausbruch der Krankheit oder dem Tod gilt.
Die Schuldfrage: Die Anwälte von Stephan Schmidheiny haben stets argumentiert, dass ihr Mandant keine direkte Verantwortung für die operative Leitung der Werke in Italien getragen habe. Ab den späten 1970er-Jahren sei er zudem dafür verantwortlich gewesen, dass Eternit Asbest-Alternativen auf den Markt brachte und das Ende der Verarbeitung vorbereitete. Die Angestellten in Casale hatten sich zu diesem Zeitpunkt gemäss eigenen Angaben aber bereits seit längerer Zeit für eine Verbesserung der Sicherheitsbedingungen im Werk eingesetzt. Die Fabrik musste anschliessend jahrelang gesäubert werden, bevor sie endgültig abgerissen werden konnte.
Zur Person: Bereits Ende der 1980er-Jahre hatte Stephan Schmidheiny seine Eternit-Anteile verkauft. In den folgenden Jahren war er mit einem Holz- und Röhrenkonglomerat in Südamerika aktiv, wo er zum Teil auch lebte. 2003 zog er sich ganz aus den Geschäftstätigkeiten zurück. Über die Jahre sass er im Verwaltungsrat mehrerer Schweizer Grossunternehmen (ABB, UBS, Nestlé). Mitte der 1980er war er unter anderem zusammen mit Nicolas Hayek an der Swatch-Gründung beteiligt. Sein Vermögen wird aktuell vom Wirtschaftsmagazin Forbes auf 2.3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Neben der Kunst hat er sich der Philanthropie verschrieben. Zusammen mit seiner Frau Viktoria soll er in den vergangenen Jahrzehnten über eine Milliarde Franken für wohltätige Zwecke gespendet haben. 1992 engagierte er sich für die UNO an der Weltklimakonferenz in Rio de Janeiro. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht. Stephan Schmidheiny ist 75 Jahre alt.