Die Firma Dürkopp Adler in Bielefeld im Bundesland Nordrhein-Westfalen macht seit über 150 Jahren Nähmaschinen. Dazwischen baute sie alles Mögliche: Fahrräder – es gab Zeiten da kamen 20 Prozent aller deutscher Fahrräder aus Bielefeld, Autobusse für die Londoner Innenstadt, Rennbootmotoren für Monaco oder etwa Flugzeugmotoren.
In den 1950er Jahren waren es auch Motorroller, die so elegant waren wie ihr Name, Diana. Dürkopp Adler erfand Milchschleudern und sogar einen Heisswurstautomaten. Am Ende half aller Erfindergeist nichts. Seit den 1980er folgte Strukturkrise auf Strukturkrise. Und dann hiess es 2005: Ach du dickes Ei, jetzt kommen auch noch die Chinesen.
Wir fragten uns, wie lange wir hier noch Arbeit haben werden und wer der Letzte sein wird, der das Licht ausmacht und die Türen schliesst.
«Natürlich war Skepsis vorhanden»
Dietrich Eickhoff ist in der Firma gross geworden. Heute ist der Bielefelder CEO von ShangGong Europe. Es ist so wie es klingt: Dürkopp Adler gehört seit zwölf Jahren der chinesischen ShangGong Holding aus Pudong. «Natürlich gab es echte Ängste. Wir fragten uns, wie lange wir hier noch Arbeit haben werden und wer der Letzte sein wird, der das Licht ausmacht und die Türen schliesst», erinnert sich Eickhoff an 2005.
Der Betriebsratsvorsitzende Klaus-Jürgen Stark beschreibt die damalige Stimmung bei der Übernahme so: «Natürlich war eine Skepsis vorhanden. Aber die Leute waren durch die anderen Restrukturierungsmassnahmen schon fast schmerzfrei.»
Marktwert verzehnfacht
12 Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später sind die Mitarbeiter positiv gestimmt. «Nachdem wir 2009 nach der weltweiten Finanzkrise fast am Boden gelegen hatten, haben wir uns seit 2010 recht positiv entwickelt», so Eickhoff.
Seit der Übernahme durch die Chinesen 2005 hat sich der Marktwert von Dürkopp Adler verzehnfacht. Allerdings ist auch die Belegschaft in Bielefeld um den Faktor zehn geschrumpft. Stark sagt, dass das ein harter Schnitt war. «Aber heute sind wir dank der Unterstützung aus China erfolgreich.» Ein bemerkenswerter Satz eines Arbeitnehmervertreters.
Fünf Minuten statt drei Stunden
Eickhoff setzt noch einen drauf: «Ich glaube, dass wir mit einem amerikanischen Investor nicht mehr hier in unseren eigenen Räumlichkeiten und unseren eigenen Produktionsstätten stehen würden.»
In der Fabrik wird eine topmoderne Nähmaschine, besser gesagt ein Nähcomputer getestet. «Da ist ein kleiner elektronischer Schneider drin», sagt CEO Eickhoff stolz. Nähmaschinen bauen klingt nicht sexy. Ist es aber.
Arbeitsplätze der Zukunft
Inzwischen kann man diese schon über das iPhone steuern. Auch der Bau der Nähmaschinen ist Hightech. Fünf Minuten statt drei Stunden für einen Arbeitsprozess. Seit 2009 macht Dürkopp Adler die ganze Steuertechnologie für den Nähmaschinenbau selbst. Michael Killian, der Chef von Dürkopp Adler in Deutschland, sagt, dass man damit Stellen geschaffen hätte, die es vorher nicht gab.
Viele Arbeitsplätze sind es nicht. Aber immerhin, Arbeitsplätze der Zukunft. Die 300 bestehenden Jobs sind sicher. In Bielefeld werden die Nähmaschinen zusammengesetzt. Die Einzelteile dafür werden in Osteuropa hergestellt. Eickhoff sagt, dass die Hauptproduktionsstätte für Maschinen in Tschechien und für Teile in Rumänien sind.
In Europa konkurrenzfähig
Seit den 1980er Jahren verschwanden die Arbeitsplätze in der Bekleidungsindustrie fast unmerklich nach Asien. Heute hat sich das Blatt gewendet. Und zwar spektakulär.
Ein Arbeiter in Bielefeld ist produktiver und am Ende genauso kostengünstig, wie einer in China, so Eickhoff. Natürlich ist China selbst ein wichtiger Markt für Dürkopp Adler. Und natürlich produziert Dürkopp Adler auch in China. Aber heute sei man in Europa konkurrenzfähig.
Dürkopp Adler als Beispiel
ShangGong Europe hat sich strategisch und langfristig aufgestellt. Dazugekauft wurden verschiedene Unternehmen, zum Beispiel der Nähmaschinenhersteller Pfaff. Nähmaschinen fertigen heute nicht nur Kleider, sondern auch Autositze oder Airbags. Weil es dort um Sicherheit geht, ist quasi jeder Stich dokumentiert. Im Falle eines Unfalls kann nachgeschaut werden, mit welchen Parametern und Fäden die Naht hergestellt wurde.
Dürkopp Adler ist ein typisches Beispiel für chinesische Firmenübernahmen. Mikko Huotari von Mercator Institute for China Studies in Berlin sagt: «Die chinesischen Investoren verfolgen häufig die Politik der langen Hand.» Es gäbe weiterhin eine deutsche Unternehmensführung an deutschen Standorten. Denn viele chinesische Unternehmen hätten gar nicht so ein starkes technologisches Knowhow. Sie würden sich dementsprechend zurückhaltend verhalten und langfristig planen – im Gegensatz zu amerikanischen Unternehmen, die oftmals am kurzfristigen Gewinn interessiert seien.
Die chinesischen Investoren verfolgen häufig die Politik der langen Hand.
70 Prozent der chinesischen Investoren sind Staatsfirmen
Mit Eickhoff ist ein Deutscher sogar CEO in ganz Europa. Positiv sei mittlerweile das Bild Chinas bei deutschen Unternehmen. Denn viele wurden dank chinesischer Investoren vor dem Bankrott gerettet. «Wir haben einen rasanten Anstieg gesehen auf über elf Milliarden Euro Investitionen aus China. In den Vorjahren waren wir bei etwa eineinhalb bis zwei Milliarden», bilanziert Huotari.
Beliebt sind Firmen wie der Maschinenhersteller Krauss Maffay oder der Roboterhersteller Kuka. Rund 70 Prozent der chinesischen Investoren sind Staatsfirmen und stehen damit unter politischer Kontrolle Pekings. Tendenz sinkend. Doch der deutsche Verfassungsschutz stellt in seinem neusten Bericht fest, dass China neben Russland und dem Iran am aktivsten gegen Deutschland spioniert. Vor allem Cyberspionage sei Teil eines «langfristigen Programms zur Modernisierung der chinesischen Wirtschaft.»
Wettbewerbsfähig bleiben
Umgekehrt haben die deutschen Firmen vor allem Interesse am Zugang in den chinesischen Markt. Häufig aber wird dieser massiv erschwert. Und die deutsche Regierung hat kürzlich Weichen gestellt, um Übernahmen wie den Roboterhersteller Kuka per Veto einfacher blockieren zu können.
Grundsätzlich sei Abschotten die falsche Antwort findet Huotari. «Natürlich sind wir auch wettbewerbsfähig geblieben, weil wir uns diesem gestellt haben. Dementsprechend ist es ein prekärer Balanceakt bei dem es darum geht, unfairen Aspekte so weit wie möglich zu minimieren. Aber gleichzeitig müssen wir die Herausforderung annehmen und die Unternehmen so aufstellen, dass sie wettbewerbsfähig bleiben.» Zum Beispiel auch durch eine gesamteuropäische Industriepolitik. In Bielefeld sehen das die Verantwortlichen genauso.