Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union werden nächste Woche an der UNO-Klimawoche in New York kein neues Klimaziel präsentieren können. Entsprechende Verhandlungen sind gestern in Brüssel gescheitert. Die UNO hatte die Länder aufgefordert, nächste Woche neue ehrgeizigere Klimapläne für 2035 vorzulegen. Nun verpasst die EU also diese Deadline. SRF-Wirtschaftsredaktor Klaus Ammann ordnet ein.
Weshalb werden sich die EU-Staaten nicht einig?
Die Staats- und Regierungschefs der EU stehen unter dem Druck der erstarkenden extremen Rechten, die in vielen Mitgliedsländern die Energiewende stoppen will, mit dem Argument, diese erhöhe die Kosten für Unternehmen und Bürger. Mehrere Länder wünschen sich zudem mehr Flexibilität bei der Erreichung der Klimaziele. Das heisst unter anderem, dass sie künftig neben Reduktionen auch Ausgleichsmassnahmen wie Baumpflanzungen geltend machen und Sektoren wie das Militär ausnehmen können.
Warum muss die EU ein neues Klimaziel präsentieren?
Das Pariser Abkommen von 2015 verpflichtet die Länder, alle fünf Jahre neue, ehrgeizigere Klimaziele, sogenannte «national festgelegte Beiträge», kurz NDCs, vorzulegen. Die Idee dahinter: Die Länder spornen sich dank dieser Transparenz gegenseitig an, immer ambitionierter zu werden. Die neuen NDCs hätten bis im Februar 2025 eingereicht werden sollen. Die Schweiz und lediglich ein Dutzend andere Länder hat die diese Deadline eingehalten. Die UNO hat die Frist bis zum September verlängert. Eigentlich hätten sich die EU-Umweltminister am Donnerstag auf ein neues Klimaziel bis 2035 einigen wollen. Weil die Verhandlungen gescheitert sind, wird die EU eine weitere Deadline verpassen.
Wo steht die Schweiz im Vergleich zur EU und anderen in Sachen Klimapolitik?
Die Schweiz hat ihr Klimaziel (NDC) fristgerecht im Februar eingereicht. Sie verspricht darin, den CO₂-Ausstoss bis 2035 um mindestens 65 Prozent zu reduzieren im Vergleich zu 1990. Bei der EU ist derzeit die Rede von Reduktionen um zwischen 66.25 und 72.5 Prozent. Das wäre also ehrgeiziger als die Schweiz. Laut dem unabhängigen Portal Climate Action Tracker wären aber mindestens 77 Prozent Reduktion nötig, um mit dem 1.5-Grad-Ziel im Einklang zu bleiben. Am ambitioniertesten gibt sich derzeit Grossbritannien. Das Land verspricht die Emissionen bis in 10 Jahren um 81 Prozent zu reduzieren. Auf der anderen Seite haben sich die USA aus den Klimaverhandlungen der UNO zurückgezogen. Andere grosse Emittenten wollen erst «verspätet» – China 2060 und Indien 2070 – klimaneutral werden.
Welche Folgen hat die Uneinigkeit der EU für den globalen Klimaschutz?
Die EU hat beim Abschluss des Pariser Klimaabkommens eine wichtige Vermittlerrolle gespielt. Seither gilt sie als Vorreiterin unter den Industrieländern in Sachen Klimaschutz. Angesichts des Ausscherens der USA unter Donald Trump hoffen viele, dass die EU weiterhin mit «gutem Beispiel voran geht». Wenn nun sogar die Europäer den Fahrplan des Pariser Klimaabkommens nur mit Mühe einhalten, stärkt das die Motivation anderer Länder, mehr zu tun, kaum. Laut neuesten Berechnungen reichen die bisher vorgelegten Klimaziele bei weitem nicht aus. Das Ziel, das in Paris gesteckt wurde, nämlich die Erderwärmung auf unter 2 Grad, wenn möglich gar auf 1.5 Grad zu begrenzen, liegt derzeit in weiter Ferne.