In den Räumen hinter der schmucken Fleischtheke der Metzgerei Sturzenegger im appenzellischen Waldstatt arbeiten junge Männer im Akkord. Unter ihnen ist Lehrling Salim Hamdard aus Afghanistan.
Schon als Kind habe er Erfahrungen als Metzger gesammelt – «bei meinem Vater», wie Salim stolz berichtet.
Motivierte Asylsuchende können die Lücke schliessen.
Für Lehrmeister und Betriebsleiter Peter Sturzenegger ist Salim ein Glücksfall. Im Metzgerberuf fehlt es an Nachwuchs. «Motivierte Asylsuchende können die Lücke schliessen.» Salim sei «einfach geschickt» und packe alles an. «Du kannst dich auf den Jungen verlassen», so Sturzenegger.
Offene Lehrstellen, willige Asylsuchende
Rund jede zweite Lehrstelle in der Branche bleibt unbesetzt. 195 Lehrstellen mit Ausbildungsstart August waren auf dem Portal Berufsberatung gegen Ende März noch offen.
Doch nicht nur Metzgereien haben ein Nachwuchsproblem. In diversen Berufen fehlen für die im Sommer startenden Ausbildungen noch mehrere Hundert Lernende.
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Bild 1 von 5. 195 Lehrstellen bei Schweizer Metzgereien waren per Ende März unbesetzt. Bildquelle: Keystone / Laurent Gillieron.
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Bild 2 von 5. Im Beruf Heizungsinstallateur fehlen Ende März noch über 280 Lernende. Bildquelle: Keystone / Gaetan Bally.
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Bild 3 von 5. Mehr als 360 Lernende im Beruf Sanitärinstallateurin waren per Ende März noch gesucht. Bildquelle: Keystone / Gaetan Bally.
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Bild 4 von 5. Mehr als 460 Lehrstellen als Maurer waren Ende März noch unbesetzt. Bildquelle: Keystone / Gaetan Bally.
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Bild 5 von 5. Auch beim KV konnten per Ende März 950 Stellen noch nicht besetzt werden. Bildquelle: Keystone / Christian Beutler.
Gleichzeitig leben rund 30'000 unbegleitete minderjährige Asylsuchende in der Schweiz, unter denen viele gerne eine Lehrstelle antreten würden. Der Verein Rotarier für die berufliche Integration von Jugendlichen – kurz «Robij» – will diese beim Einstieg ins Berufsleben unterstützen, unter anderem mit Schnuppertagen bei Lehrbetrieben.
Bei der Firma Guyer erhalten einige Dutzend Asylsuchende – organisiert von «Robij» – Einblick in die Berufe Heizungs- und Sanitärinstallateur. Für viele ist es zwar nicht ihr eigentlicher Traum. Doch die Chance, überhaupt einen Schnuppertag zu erleben, lassen sich die Jugendlichen nicht entgehen.
Unter ihnen ist der 18-jährige Abdulwahed – ebenfalls aus Afghanistan. Eigentlich war sein Wunschberuf immer Automechaniker, wie er erzählt. Jetzt sagt er: «Sanitär ist sehr cool. Ich möchte diesen Beruf machen» – wohl auch, weil er realisiert hat, dass er als Sanitär wegen der vielen offenen Lehrstellen bessere Chancen hat.
Jetmir Ajeti, Berufsbildungsverantwortlicher bei Guyer, sagt ganz offen, dass die Firma mit diesen Jugendlichen jenen begeisterungsfähigen Nachwuchs finde, den sie sonst «kaum noch bekommt». Unter jungen Schweizerinnen und Schweizern interessiere sich trotz «Jobsicherheit und anständiger Lohnaussichten» nur selten jemand für die Berufe Sanitär- oder Heizungsinstallateur.
Motivation bei den Lernenden ist das A und O. Wir sind bereit, den Mehraufwand mit den Asylsuchenden in Kauf zu nehmen.
Thomas Schneider rekrutiert die Lernenden bei der Firma Guyer. Er setzte bereits in der Vergangenheit auf Asylsuchende. Nicht nur aus Not, denn diese Jugendlichen seien einfacher für Handarbeit zu begeistern als andere. «Motivation bei den Lernenden ist das A und O», sagt der Berufsbildner.
Deshalb sei es «absolut denkbar», dass auch aus der heutigen Schnuppergruppe der eine oder andere zu ihnen in die Lehre kommen könne. «Wir sind gerne bereit, den Mehraufwand mit den Asylsuchenden in Kauf zu nehmen», so Schneider.
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Bild 1 von 5. Jetmir Ajeti, Berufsbildungsverantwortlicher Guyer: «Mit diesen Jugendlichen finden wir den begeisterungsfähigen Nachwuchs, den wir sonst kaum noch bekommen.». Bildquelle: SRF / Marco Schnurrenberger.
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Bild 2 von 5. Thomas Schneider, Berufsbildner Guyer: «Diese Jugendlichen wittern ihre Chance, zeigen grossen Einsatz und sind stolz, wenn sie etwas erreichen.». Bildquelle: SRF / Marco Schnurrenberger.
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Bild 3 von 5. Antonio Curia, Geschäftsführer Guyer: «Wir geben den motivierten Jungen eine Perspektive und finden gleichzeitig gesuchte Fachkräfte für die Branche.». Bildquelle: SRF / Marco Schnurrenberger.
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Bild 4 von 5. Veronica Yildizerier, Administration Verein Robij: «Für die Integration dieser Jugendlichen müssen alle anpacken – sie selbst tun es trotz des Erlebten auf der Flucht vorbildlich.». Bildquelle: SRF / Marco Schnurrenberger.
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Bild 5 von 5. Ermiyas Mulugeta, Sanitär im 2. Lehrjahr, aus Eritrea: «Dass ich hier die Chance erhalten habe, ist toll. Ich arbeite gerne mit meinen Händen und mit Menschen.». Bildquelle: SRF / Marco Schnurrenberger.
Die meisten der anwesenden Jugendlichen sind erst vor wenigen Monaten und ohne ihre Eltern in die Schweiz gekommen. Priorität für sie hat Deutsch lernen. Nicht alle werden danach sofort bereit sein, eine Ausbildung anzutreten. Das weiss auch Veronica Yildizerier vom Verein Robij. «Für die Integration dieser Jugendlichen müssen alle anpacken.»
Integrationsziel nicht erreicht
Das offizielle Integrationsziel von Bund und Kantonen ist, dass sich fünf Jahre nach Einreise «zwei Drittel aller vorläufig Aufgenommenen und Flüchtlinge im Alter von 16-25 Jahren» in einer postobligatorischen Ausbildung befinden – also einer Weiterbildung im Anschluss an die obligatorische Schule.
Dieses Ziel hat die Schweiz in den letzten Jahren zwar verfehlt. Mit dem Wert von zuletzt 52 Prozent sei man aber «auf dem richtigen Weg», sagt Reto Kormann, Mediensprecher des Staatssekretariats für Migration (SEM). «Die Lehrbetriebe machen das ausgezeichnet.»
Um das Integrationsziel künftig zu erreichen, setzt der Bund unter anderem auf eine einjährige Integrations-vorlehre. «Mittlerweile haben diese über 4500 Geflüchtete absolviert», wie Kormann berichtet.
Ein Wermutstropfen ist der deutliche Unterschied zwischen den Geschlechtern. Fünf Jahre nach Einreise haben 58 Prozent der Männer eine postobligatorische Ausbildung absolviert oder sind auf dem Weg dazu. Bei den Frauen liegt der Anteil mit 43 Prozent deutlich tiefer.
Man kann einem Lehrbetrieb nicht sagen: Mit einem Asylsuchenden hast du den ganz einfachen Fall.
Beim Staatssekretariat für Migration warnt man vor zu viel «Sozialromantik». Man könne nicht sagen, ein Lehrbetrieb habe den «ganz einfachen Fall» mit einem Asylsuchenden. «Es ist eine engere Begleitung notwendig. Dafür hat eine Firma eine Fachkraft in Aussicht, die sie vielleicht schon lange sucht», so Kormann.
Keine Integrationsprobleme bei Metzger Salim
Eine solche Fachkraft wächst bei der Metzgerei Sturzenegger gerade heran. Bedenken wegen Salim gab es im Umfeld der Metzgerei nie – auch weil der junge Afghane wegen seiner Religion nie eine Sonderbehandlung verlangte.
«Salim arbeitet ganz normal mit Schweinefleisch» – das sei natürlich eine Voraussetzung im Betrieb, so Betriebsleiter Peter Sturzenegger. Salim selbst sagt dazu nur: «Ich muss es ja nicht essen, nur ausbeineln.» Das sei ihm egal.
Mit dieser Einstellung hat sich der Lehrling schnell die Gunst des gesamten Teams geholt. Es habe «nie Bedenken» gegeben, versichert sein Lehrmeister. Peter Sturzenegger sagt, er habe auf den ersten Blick gespürt, dass Salim geeignet sei.
Er ist ein toller Kerl. Es macht Spass. Und er ist auch interessiert. Man merkt, dass er will.
Ähnlich klingt es bei Salims Arbeitskolleginnen und -kollegen. Erina Wilhelmi, die ebenfalls eine Lehre bei der Metzgerei absolviert, lobt Salims Integrationswillen und attestiert ihm, dass es von Woche zu Woche besser gehe mit ihm – auch weil er immer besser Deutsch lerne.
Der bereits ausgebildete Jan Himmelberger ergänzt, man merke, «dass Salim will» und fügt an, dieser sei ein «toller Kerl».
Angesprochen darauf, was sein Vater dazu sage, dass er nun denselben Beruf erlerne, sagt der 19-jährige Salim traurig, dass dieser in Afghanistan gestorben sei. Doch seine Mutter in der Heimat sei sehr stolz, dass er den Weg als Metzger eingeschlagen habe.
Für Salim hat die Reise in der Schweiz mit dem Start seiner Lehre erst begonnen. Sein Ziel ist es, dereinst einen eigenen Betrieb zu führen. Der Lehrmeister traut ihm das langfristig zu.