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Postfinance: Urs Birchler sticht in ein Wespennest
Aus SRF 4 News aktuell vom 06.09.2018.
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Grundversorgung nicht gefragt «Postfinance liquidieren oder richtig privatisieren»

Die Postfinance soll künftig eigene Kredite und Hypotheken vergeben können. So will es der Bundesrat. Der emeritierte Banking-Professor Urs Birchler hält das für keine gute Idee und fordert dazu auf, sich grundsätzliche Gedanken über die Grundversorgung mit Dienstleistungen im Zahlungsverkehr zu machen.

Urs Birchler

Urs Birchler

Ökonom

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Urs Birchler ist emeritierter Professor des Instituts für Banking und Finance der Universität Zürich.

SRF News: Sie sind gegen den Vorschlag des Bundesrats, der Postfinance die Kredit- und Hypothekenvergabe zu erlauben. Weshalb?

Urs Birchler: Für mich drückt der Entscheid des Bundesrates eine gewisse Ratlosigkeit aus, vielleicht sogar einen Hauch von Verzweiflung. Es kommt mir vor wie beim Fussball, wenn man den Ball einfach in die andere Hälfte schlägt in der Hoffnung, es gehe dann schon gut. Der Bundesrat hat realisiert, dass das ursprüngliche Geschäftsmodell der Post, die Grundversorgung mit Zahlungsverkehrsdienstleistungen sicherzustellen, aus der Zeit zu fallen droht.

Die Post als Service Public ist nicht mehr so wichtig und ertragreich wie früher. Der Bundesrat hat nun die Idee, Postfinance den Eintritt ins Kredit- und Hypothekargeschäft zu erlauben, ohne sich offenbar zu fragen, ob dort überhaupt ein Wettbewerber fehlt. Meiner Meinung nach ist das nicht der Fall.

Sie kritisieren die Grundversorgung. Sie sagen, dieses System habe sich überlebt. Braucht es diese Grundversorgung wirklich nicht mehr?

Es braucht schon eine Versorgung mit Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Aber es hat sich technologisch einiges getan. Ich muss mir selber Mühe geben, um einigermassen «up to date» zu bleiben. Das ursprüngliche Modell, bei dem man mit dem gelben Büchlein an den Schalter ging, ist nicht mehr gefragt.

Das heisst, man müsste das Gesetz über die Grundversorgung ändern?

Man kann natürlich sagen, wir wollen in der Schweiz eine Institution, bei der man sichere, vom Bund garantierte Konten unterhalten kann. Es gibt bestimmt Leute, die das schätzen. Aber man muss begründen, wieso man staatlich tätig wird, obwohl zum Beispiel auch bei vielen Kantonalbanken sichere Konten verfügbar sind. Man sollte sich die Frage stellen: Würden wir die Postfinance, wenn es sie nicht gäbe, heute einführen? Ich vermute, die Antwort könnte negativ ausfallen.

Sie sagen, im Kredit- und Hypothekargeschäft brauche es die Postfinance nicht. Wieso?

Die Schweiz ist bankenmässig ein sonderbares Land. Wir haben die Kantonalbanken, die mit offizieller oder faktischer Staatsgarantie unterwegs sind. Wir haben Regionalbanken, die auf eigene Kosten wirtschaften müssen, ohne dass ihnen im Krisenfall jemand hilft. Und wir haben zusätzlich die Grossbanken und die Raiffeisenbanken. Wir haben Versicherungen und Pensionskassen. Alle sind sehr aktiv im Hypothekargeschäft.

Die Postfinance mit drei Millionen Kontoinhabern ist praktisch genetisch ‹too big to fail›. Die kann man im Krisenfall nicht fallen lassen.

Und jetzt hat der Bundesrat das Gefühl, dieser Markt habe auf die Postfinance gewartet. Das könnte zu einer Enttäuschung führen.

Aber die Banken sind in dem Markt gut verankert. Die Postfinance wäre nicht unbedingt eine Konkurrenz. Kann man sie nicht mitmachen lassen?

Das ist der alte Trick: Man sagt, im Moment ändere sich noch nichts, und das wirke sich erst langfristig aus. Aber was wir hier lancieren, ist ein weiterer «too big to fail»-Teilnehmer in einem an sich privatwirtschaftlich organisierten Markt. Man darf nicht übersehen: Die Post mit drei Millionen Kontoinhabern ist praktisch genetisch «too big to fail». Man kann sie im Krisenfall nicht fallen lassen. Man sollte sich bereits jetzt vergegenwärtigen und sich überlegen, ob man der Bank überhaupt erlauben soll, solche Risiken einzugehen.

Langfristig scheint das Geschäft für die Postfinance, so wie es jetzt ist, aber nicht mehr aufzugehen...

Da stimme ich mit Ihnen völlig überein. Und man könnte sich, wenn ich mich in ein nationales Wespennest setzen möchte, auch mal fragen: Soll man nicht auch loslassen können und die Postfinance liquidieren oder so privatisieren, dass man sie nicht retten muss? Dann müsste man sie aber an die Chinesen oder einen ausländischen Staatsfonds verkaufen. Vielen Schweizern wäre in dem Fall vielleicht eine Liquidation lieber. Ich weiss, das rührt an Tabus. Die Entwicklung im Bankengeschäft und auch in der Digitalisierung ist aber so rasant, dass man auch einmal an Tabus rühren sollte.

Aber die Nachfrage ist da. Über 10 Milliarden Franken beträgt die Bilanzsumme der Postfinance. Wenn sie den Bund im Rücken hat, dann ist das doch attraktiv?

Ja, dann müsste man aber argumentieren, weshalb es ein staatliches Angebot braucht, und man müsste das Modell Grundversorgung noch einmal diskutieren. Das muss ja nicht unbedingt massiv rentieren. Das ist eine Bundesdienstleistung wie die Wasserversorgung – also einfach ein anderes Modell einer öffentlichen Dienstleistung, quasi zurück zu den Ursprüngen.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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