Huawei hat das Geld – und auch die Not. Darum sieht sich wohl getäuscht, wer bis heute noch dachte, der chinesische Technologie-Gigant habe bloss geblufft, als er Anfang Sommer ein eigenes Betriebssystem für seine Geräte angekündigt hatte.
Angriff scheint in diesem heiklen Moment in der Firmengeschichte die einzige mögliche Verteidigung zu sein. Dennoch ist es für Huawei auch jetzt noch eine Herkulesaufgabe, das sogenannte «HarmonyOS» fertig zu bauen. Das betonte heute auch der Firmen-Chef Richard Yu an der Entwicklerkonferenz.
Android, das Betriebssystem aus dem Hause Google, das Huawei wegen des US-Banns zu verlieren droht, besteht aus rund 100 Millionen Zeilen Programmcode. Diese steuern in den damit ausgerüsteten Smartphones und Computern alles – vom Telefon über die Apps, bis zu den Sicherheits- und Zahlungssystemen. Android wurde über ein Jahrzehnt hinweg auf- und ausgebaut.
Vom Logo zur Lebensversicherung?
Von HarmonyOS hat Huawei heute noch nicht mehr gezeigt als ein hübsches Logo. Weitere Details sollen morgen präsentiert werden. Und doch ist es Huawei zuzutrauen, dass die Firma zumindest ein funktionierendes Gerüst vorstellen wird.
Das Privatunternehmen verdient trotz des Handelsstreits immer noch unvorstellbar viel Geld – und steckt offiziell mindestens ein Viertel seines Einkommens in die Forschung und Entwicklung. Es würde nicht verwundern, wenn dieser Anteil in den letzten Monaten deutlich höher lag.
Rückendeckung des Regimes
Gleichzeitig kann Huawei auf die Rückendeckung der chinesischen Regierung setzen. Das Heimatland des Konzerns würde davon profitieren, wenn durch ein eigenes Betriebssystem die Abhängigkeit der Computerindustrie vom Westen weiter sinken würde. Eine funktionierende Konkurrenz zu Apple, Google und sogar Microsoft könnte nicht nur den Milliardenmarkt in China umkrempeln.
Entsprechend stünde das Regime wohl bereit, Huawei unter die Arme zu greifen, sollte der Firma auf halbem Weg der Schnauf ausgehen. Das Risiko für Huawei ist dennoch gross. Sollte das neue Betriebssystem bei den App-Entwicklern durchfallen – oder sollten Kunden selbst in China keine Smartphones mit HarmonyOS kaufen wollen, würde es rasch brenzlig für den schnell wachsenden Konzern, der auf weiter steigende Einnahmen angewiesen ist.
Vorbereitung für den Worst Case
Dies ist wohl auch der Grund, warum das neue Betriebssystem bei Huawei auch heute immer noch als teurer Plan B behandelt wird. Zumindest für die nächsten Jahre würde man lieber weiterhin auf Googles Android setzen – und hofft, dass der US-Bann noch abgewendet werden kann.
Denn dann hätte der chinesische Konzern mehr Zeit, ein ausgereiftes Betriebssystem zu entwickeln – und später zu versuchen, den Markt der Computersysteme aufzumischen, so wie er dies mit den Smartphones getan hat. Doch derzeit bleibt dem Konzern weiterhin nur, sich rasch auf das schlimmstmögliche Szenario vorzubereiten.