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Individualbesteuerung Wenn Heiraten sich nicht rechnet

Wer doppelt verdient, zahlt in der Ehe drauf. Junge, gut ausgebildete Paare mit entsprechenden Löhnen überlegen es sich deshalb zweimal, ob sie heiraten sollen. Oder sie lassen es ganz bleiben. Ein individueller Entscheid mit gesellschaftlichen Folgen.

Eigentlich wäre alles perfekt: ein Paar Ende 20, beide klug, beruflich ambitioniert und erfolgreich. Sie möchten zusammen durchs Leben gehen, eine Familie gründen. Und sie möchten das vor Gott und der Gesellschaft offiziell machen. Wäre es nur nicht so verdammt teuer.

Wir würden derzeit als Verheiratete 10'000 Franken mehr Steuern pro Jahr zahlen.
Autor: Camille Unternehmensberaterin

Camille und Tristan arbeiten beide Vollzeit in der Unternehmensberatung. Beide verdienen gut – und sie können rechnen: «Wir würden derzeit als Verheiratete 10'000 Franken mehr Steuern pro Jahr zahlen», erklärt Camille, «und weil in unserer Branche die Löhne rasch steigen, wären es bald 15'000 Franken. Bei aller Liebe – das ist zu viel.»

Zwei Personen vor Tempel mit Statue und chinesischen Schriftzeichen.
Legende: Für Camille und Tristan rechnet sich das Heiraten nicht. ZVG

Camille und Tristan wären von der Heiratsstrafe betroffen. Als Ehepaar würden sie gemeinsam besteuert, die Löhne würden zusammengezählt.

Da beide viel verdienen, würden sie wegen der Progression deutlich mehr Steuern zahlen als im Konkubinat. Das Geld könnten sie anders besser brauchen.

Alterssparen statt Steuerstrafe

Zum Beispiel, indem sie das Geld anlegen. Camille und Tristan haben Ökonomie studiert und kennen den Zinseffekt: «Wenn wir jedes Jahr 10'000 Franken investieren, dann haben wir in 40 bis 50 Jahren ein Vermögen», rechnet Camille vor.

Es wäre ihre gegenseitige Absicherung fürs Alter. Denn als unverheiratetes Paar profitieren sie nicht automatisch vom Einkommen des Partners oder der Partnerin, wenn dieser oder diese etwa frühzeitig stirbt.

Nationalrat berät Steuerreform

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Die Vorlage zur Einführung der Individualbesteuerung kommt am Mittwoch ein zweites Mal in den Nationalrat, nachdem beide Kammern in der ersten Beratungsrunde dem Ansinnen knapp zugestimmt haben. Konsens herrscht darüber, die steuerliche Diskriminierung der Ehe abzuschaffen. Druck machen zwei Volksinitiativen aus den Reihen der FDP-Frauen und der Mitte-Partei.

Ob die Vorlage zur Individualbesteuerung ins Trockene kommt, ist aber offen, weil das «Wie» bei der Abschaffung der Heiratsstrafe umstritten ist. Namentlich bei der Höhe des Kinderabzugs und beim Progressionsmodell sind sich die Räte nicht einig.

Die Nationalratskommission will nun einen Mittelweg nehmen, damit die finanziellen Verluste für Bund und Kantone bei der Einführung der Individualbesteuerung geringer ausfallen als zunächst geplant. Die Mehrheiten in der Kommission waren aber knapp. (sda)

Eigentlich brauchen die beiden die Ehe nicht. Alle Absicherungen, die der Ehestand böte, können sie anderweitig abdecken. Denn beide stehen finanziell auf eigenen Beinen. Und doch sind sie frustriert, sie möchten eigentlich unbedingt heiraten.

Beiden ist das gegenseitige Versprechen wichtig, und es wäre ihnen wichtig, dieses offiziell zu machen. Während es Camille vor allem ums Ritual geht, spielen für Tristan religiöse Gründe eine Rolle. Ausserdem ist da noch die Kinderfrage.

Zurückstecken kommt nicht infrage

Camille und Tristan möchten Kinder – aber als Ehepaar und nicht im Konkubinat, obwohl es finanziell noch paradoxer werden würde. Im heutigen System ist es für ein Paar mit Kindern finanziell gesehen mitunter vernünftiger, wenn eine Person bei der Erwerbstätigkeit zurücksteckt. Wenn beide Vollzeit arbeiten und gut verdienen, kommen zur Steuerstrafe noch die Kitakosten für die Kinderbetreuung hinzu. Unter dem Strich rechnet sich das oft nicht.

Komme gar nicht infrage, meint Camille dezidiert. Sie habe das bei ihren Eltern gesehen: «Wenn Kinder kommen, und dann hört einer auf zu arbeiten, weil es sich finanziell nicht lohnt – das ist doch absurd.» Tristan würde versuchen, sein Arbeitspensum auf 80 Prozent zu reduzieren, wie er sagt: «Weil es finanziell schlicht aufs Gleiche herauskommt – dann würde ich wenigstens einen Tag mit meinen Kindern verbringen.»

Junge Doppelverdiener-Paare mit einer modernen Arbeitsteilung haben im heutigen System das Nachsehen. Das gilt umso mehr, wenn beide beruflich ambitioniert sind und vergleichsweise viel verdienen.

Camille bringt es pointiert auf den Punkt: «Wir haben Fachkräftemangel und erleben eine starke Alterung der Gesellschaft. Und doch haben mein Partner und ich keinerlei Anreiz, beruflich erfolgreich zu sein und Geld zu verdienen – und zugleich verheiratet zu sein und Kinder zu haben.»

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Rendez-vous, 5.5.2025, 12:30 Uhr; sibl;brus

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