Die Pandemie hat vergangenes Jahr bei vielen Schweizer Industriefirmen zu heftigen Einbussen geführt. Die stärksten Umsatzrückgänge mussten Unternehmen der Werkzeugmaschinen-Produktion hinnehmen. Insgesamt sanken die Exporte in allen Absatzregionen – teils drastisch. Martin Hirzel, der neue Präsident des Schweizer Industrieverbandes Swissmem, schaut zurück – und sagt, was er für dieses Jahr erwartet – auch was Impfungen anbelangt.
SRF: Andere Branchen sind viel härter getroffen. Ist die Industrie mit einem Export-Rückgang von 11.2 Prozent mit einem blauen Auge davon gekommen?
Martin Hirzel: Verglichen mit zwangsgeschlossenen Branchen klingen elf Prozent tatsächlich nicht dramatisch. Aber in absoluten Zahlen ist es ein Rückgang von 7.6 Millarden. Und der hat uns ins Jahr 2004 zurückgeworfen.
Nun fordern Sie, dass die Kurzarbeit auf 24 Monate ausgedehnt wird. Ist das realistisch?
Ich hätte wirklich nie gedacht, dass ich zwei Jahre Kurzarbeit fordern würde. Aber denken Sie an Firmen, die bereits ab Anfang 2020 in Kurzarbeit waren: Dort läuft die auf 18 Monate befristete Kurzarbeit im Sommer aus. Und die Unternehmen müssen jetzt mit den Entlassungsplanungen beginnen. Das müssen wir unbedingt verhindern. Die Unternehmen brauchen Planungssicherheit, auch wenn wir optimistisch sind, dass das zweite Semester eine Erholung bringt.
Woher nehmen Sie den Optimismus?
Im zweiten Halbjahr 2020 sahen wir bereits eine Erholung. Der Auftragseingang im Dezember war sogar wieder auf Vorjahresniveau. In der EU sehen wir ein Wachstum von drei bis fünf Prozent, China läuft bereits seit dem dritten Quartal 2020 wieder gut, und auch in den USA sind wir positiv unterwegs – auch dank Impfkampagnen.
Es gibt gigantische Förderprogramme in der EU und den USA, von denen Schweizer Industrie-Unternehmen profitieren können.
Die Industrie hat im vergangenen Jahr zwei Prozent der Angestellten abgebaut. Werden diesen Sommer noch weitere Stellen gestrichen?
Wir haben in der MEM-Industrie 7500 Arbeitsplätze verloren im Jahr 2020. Das tut weh, aber wir sind mit über 315'000 Arbeitsplätzen und 20'000 Lernenden noch immer über dem Niveau der 90er-Jahre. Es fand also nie eine De-Industrialisierung statt. Wir sind optimistisch, dass wir auch diese Krise positiv durchstehen werden.
Punkto Corona-Impfungen: Was sind Ihre Forderungen an die Politik?
Die Impfkampagnen müssen jetzt erfolgreich umgesetzt werden. Man muss Infrastrukturen erstellen, genügend Impfstoffe einkaufen und die Risikogruppen sofort impfen, dann werden die Hospitalisierungen und die Todesfälle sinken, und wir können auch allen Impfwilligen eine Impfung anbieten, so dass wir wieder ins normale Leben zurückkehren können.
Sie fordern internationale Impf-Atteste, wie sie die EU auch plant. Wieso ist das für die Industrie wichtig ?
80 Prozent unserer Verkäufe gehen ins Ausland: Wir müssen also reisen, um unsere Maschinen zu montieren. Wir müssen Kunden besuchen, um Geschäfte zu akquirieren. Und wir wollen unsere Tochtergesellschaften und Fabriken im Ausland wieder besuchen.
Deshalb ist die Reisefreiheit sehr wichtig. Und dazu brauchen wir international anerkannte, fälschungssichere Impf-Atteste. Auch dafür gibt es Schweizer Technologien, bei der wir hoffen, dass sie sich durchsetzen können.
Das Gespräch führte Reto Lipp.