Es steht grad nicht so gut um Deutschlands Wirtschaft. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte kürzlich, sie sei gelähmt durch Bürokratismus. Und Oppositionsführer Friedrich Merz kritisierte, der Staat lähme die Wirtschaft. Wo das Problem liegt, erklärt Wirtschaftsprofessor Alexander Kriwoluzky.
SRF News: Ist der Staat das Problem?
Alexander Kriwoluzky: Das ist schon zutreffend, in vielerlei Hinsicht. Wir haben in Deutschland einen Zustand, in dem man ein Formular benötigt, um ein Formular zu beantragen – um es zugespitzt zu sagen. Ein ganz guter Massstab, wie bürokratisch der Staat für die Wirtschaft ist, zeigt, wie lange es dauert, eine Firma zu gründen. Das geht in Deutschland wesentlich länger als in anderen entwickelten Ländern.
Was könnte gemacht werden?
Eine einfache Lösung wäre die weitere Digitalisierung. Hier sind die Behörden weit hinterher. In Berlin – wo ich wohne – findet fast alles noch analog statt und kann nicht digital beantragt werden. Das würde wahrscheinlich auch helfen, Hürden in der Bürokratie für Firmengründungen abzubauen.
Wenn wir über die derzeitige Rezession sprechen, dann sind die hohen Energiepreise das grosse Problem.
Das kann ja nicht das grosse Problem sein.
Nein. Wenn wir über die derzeitige Rezession sprechen, dann sind die hohen Energiepreise das grosse Problem. Sie sind nicht mehr so hoch wie letztes Jahr, aber weiterhin auf einem höheren Niveau als vor dem Krieg in der Ukraine. Es fehlt das billige russische Gas. Das führt dazu, dass die Industrie weniger produziert. Und es führt auch dazu, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten zurückhaltend sind, weil sie auf die Rechnungen des letzten Winters warten und gespannt sind, wie hoch die Energiepreise künftig sein werden.
Nicht nur die deutsche Wirtschaft leidet unter dem Krieg in der Ukraine. Laut Prognosen des Internationalen Währungsfonds ist sie aber eine der einzigen der wirtschaftlich starken Länder, die dieses Jahr schrumpfen wird. Was macht sie schlechter als andere?
Die deutsche Wirtschaft ist wesentlich stärker betroffen von diesem Energiepreisschock als der Rest der entwickelten Länder. Sie bezog einen Grossteil der Energie aus Russland, zu einem sehr günstigen Preis. Das ist ein Grund, warum es der Wirtschaft gerade so schlecht geht. Der andere Grund liegt darin, dass in den letzten Jahren viele Reformen und Veränderungen nicht angegangen wurden. Dazu gehört die digitale Infrastruktur. Dazu gehört das Bildungssystem.
Wir haben nicht nur eine konjunkturelle Krise. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass wir es mit einer langfristigen Krise zu tun haben.
Und: Wahrscheinlich sind viele aus der Schweiz, die in Deutschland den öffentlichen Nahverkehr benutzen, erstaunt und denken «wie kann man in einem Land leben, in dem kaum ein Zug pünktlich ist?» Diese verschlafenen Reformen und Investitionen müssen bald getätigt werden, damit Deutschland nicht endgültig den Anschluss verliert.
Deutschland ist in einer Rezession. Wie sehen Sie die längerfristigen Perspektiven für die Wirtschaft?
Wir haben nicht nur eine konjunkturelle Krise. Viele Zeichen deuten darauf hin, dass wir es mit einer langfristigen Krise zu tun haben. Was ich aufgezählt habe, löst sich nicht von heute auf morgen. Die Bürokratie muss mittelfristig abgebaut werden, für Digitalisierung muss gesorgt werden. Investitionen in erneuerbare Energien sind dringend erforderlich. All das wird sich nicht von heute auf morgen ändern. Deswegen sehe ich die Aussichten erst einmal nicht zu positiv. Sollte die deutsche Regierung nicht bald die Dinge in Angriff nehmen, über die wir gesprochen haben, dann befürchte ich, sieht es selbst mittelfristig für Deutschland nicht so gut aus.