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Kritik an Marktmacht Saftige Preiserhöhungen: Heizen Grosskonzerne die Inflation an?

Die Energiekosten befeuern die Inflation weltweit. Diskutiert wird aber auch, ob Grosskonzerne die Teuerung antreiben.

Angestossen hat die Diskussion in den USA Robert Reich. Der frühere Wirtschaftsberater von Präsident Barack Obama und Minister unter Bill Clinton schreibt heute noch Bücher und Kolumnen. Mit seinen Videos auf Social Media erreicht er mehr als vier Millionen Follower.

Die Ursache der Inflation sei die Marktmacht grosser Unternehmen, die die Preise diktieren könnten, erklärt Reich in einem aktuellen Video – am Beispiel von Pepsi und Coca-Cola: «Pepsi hat die Preise erhöht, weil die Kosten für Rohstoffe, Transporte und Löhne gestiegen sind – und hat daraufhin drei Milliarden Dollar Gewinn gemeldet.» Und Pepsis grosser Rivale Coca-Cola habe ebenfalls die Preise und damit den Gewinn erhöht.

Anstatt dass die Konkurrenz die Unternehmen zwinge, Preise zu senken, könnten wenige grosse Konzerne die Preise nach Belieben erhöhen, kritisiert Reich. Auch die Energiekonzerne würden auf diese Art die Inflation weiter anheizen.

Gewaltige Margen im Techsektor

Auch das «Handelsblatt», eine durchaus wirtschaftsfreundliche Publikation, widmete dem Thema kürzlich volle acht Seiten unter dem Titel «Machtwirtschaft statt Marktwirtschaft». Die deutsche Zeitung zitierte den Bonner Wirtschaftsprofessor Hermann Simon mit der Aussage: «Wo Wettbewerb fehlt, zahlt der Kunde!»

Im Gespräch macht Simon ein Beispiel: «Im Lebensmittel-Einzelhandel in Deutschland haben vier Unternehmen 85 Prozent des Marktes.» Und im Techsektor würden Apple, Alphabet-Google, Microsoft oder Meta-Facebook mit ihren hohen Marktanteilen Gewinnmargen von 25 bis 35 Prozent erzielen – das gebe es sonst in kaum einem Bereich der Wirtschaft. «Das ist ein horrend hohe Zahl.»

Apple CEO Tim Cook
Legende: Apple zum Beispiel habe 2021 einen Umsatz von 368 Milliarden Dollar gemacht. «Kombiniert mit den hohen Netto-Margen ergibt das historisch einmalige Gewinne», sagt Wirtschaftsprofessor Simon. Keystone

Dennoch sieht Professor Simon die Techkonzerne nicht direkt als Treiber der Inflation, da ihre Dienstleistungen nur einen kleinen Teil ausmachten im Warenkorb, mit dem die Teuerung berechnet wird.

Problematisch sei etwas anderes: «Diese Konzerne werden von ihrer Kaufkraft so gross, dass der Rest der Wirtschaft im Grunde keine Chance mehr hat. Das Phänomen ist vergleichbar mit der Situation um das Jahr 1900. Damals gab es Rockefellers Monopolisten Standard Oil in der Ölindustrie.»

Riesige Gewinne dank hoher Preise

Auch heute seien die grossen Energiekonzerne dank ihrer Marktmacht äusserst profitabel. Die fünf grössten amerikanischen und europäischen Energiemultis hätten allein im zweiten Quartal 62 Milliarden Dollar Gewinn erzielt, rechnet Simon vor.

Es sind riesige Gewinne, dank hoher Preise, die von den anderen Unternehmen und von den Konsumentinnen und Konsumenten bezahlt werden müssten – und die so massgeblich zur Teuerung beitrügen.

Für fast alle Ökonomen kam es unerwartet, wie stark die steigenden Energiepreise durchschlagen.
Autor: Rudolf Strahm Ökonom und ehemaliger Preisüberwacher

Das sieht auch Rudolf Strahm so, der Ökonom und ehemalige Schweizer Preisüberwacher. «Für fast alle Ökonomen kam es unerwartet, wie stark die steigenden Energiepreise durchschlagen. Die Landwirtschaftsprodukte werden mit Energie weiterverarbeitet, die Transportkosten, die ganze Logistik – das schlägt nun in einer zweiten Runde auch auf die Preise der täglichen Güter durch.»

Doch abgesehen von den Energiepreisen ist Strahm weniger besorgt: «In der längeren Betrachtung ist die Konzernmacht im Markt zurückgegangen. Bei den täglichen Konsumgütern haben wir eher eine verstärkte Konkurrenz.» Und diese Konkurrenz führe dazu, dass die Preise für Konsumgüter nicht übermässig weiter steigen dürften.

Rendez-vous, 20.10.2022, 12:30 Uhr

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