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Kritik nach CS-Pleite IWF-Direktorin: «Hätten bei der Schweiz energischer sein sollen»

Der IWF vergibt Kredite an Länder mit Zahlungsproblemen und überwacht das globale Finanzssystem. Für Direktorin Kristalina Georgiewa war das Ende der Credit Suisse ein bedeutsames Ereignis. Im Exklusiv-Interview mit SRF bedauert sie, im Vorfeld nicht deutlicher vor Risiken bei der Schweizer Aufsicht gewarnt zu haben.

Kristalina Georgiewa

Direktorin Internationaler Währungsfonds

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Seit 2019 ist die bulgarische Ökonomin und Politikerin Direktorin des Internationalen Währungsfonds (IWF). Vor ihrer Amtsaufnahme beim IWF war sie für die Weltbank und die Europäischen Kommission tätig.

SRF: Die staatlich unterstützte Übernahme der Credit Suisse durch die UBS ist ein knappes Jahr her. Wie bedeutsam war das Ereignis global betrachtet?

Kristalina Georgiewa: Es war bedeutsam – auch, wie schnell die Schweizer Behörden gehandelt haben. Und auch, wie gründlich sie die Geschehnisse nun aufarbeiten.

2019 hat der IWF eine umfangreiche Prüfung des Schweizer Finanzsektors durchgeführt. Wir waren damals beunruhigt, fanden, dass im Bereich der Aufsicht mehr getan werden müsste. Wir hätten energischer sein sollen. Das ist für uns eine Lehre, wenn wir den Finanzsektor prüfen. Wenn wir etwas sehen, müssen wir es laut und klar sagen.

Die Schweizer Regierung hat vor rund einem Monat Vorschläge für eine strengere Bankenregulierung skizziert. Von Seiten der UBS gibt es, was höhere Kapitalanforderungen angeht, Widerstand. Vor allem, weil die UBS ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit in Gefahr sieht. Hat sie recht?

Der Finanzsektor ist sehr wichtig für die Wirtschaft, gerade in der Schweizer Wirtschaft spielt er eine entscheidende Rolle. Es ist also richtig, ihm mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Aber ich möchte den Schweizerinnen und Schweizern eines sagen: Der Bericht wird nicht nur in der Schweiz bleiben, dieser Bericht hat weltweit Bedeutung. Das Ereignis fand zwar in der Schweiz statt, die Gründe dafür sind aber nicht nur in der Schweiz zu finden. Deshalb sollte die UBS sich keine allzu grossen Sorgen machen. Es ist unwahrscheinlich, dass nur die Schweiz solche Forderungen erheben und innerhalb ihrer Grenzen durchsetzen wird.

Die Schweiz ist Teil von Europa, und in Medien und der Politik wird im Moment intensiv darüber diskutiert, ob Europa wirtschaftlich von den USA und China abgehängt wird. Steht Europa an einem Scheideweg?

Definitiv, Europa hat ein riesiges Potenzial. Doch es gibt Gründe, warum Europa ins Hintertreffen gerät. Einer davon sind weniger gut entwickelte Kapitalmärkte. Wenn man die USA und Europa vergleicht, dann ist die Grösse der finanziellen Vermögenswerte ziemlich ähnlich. Aber in den Vereinigten Staaten wird Geld investiert, es arbeitet so zu sagen hart, in Europa nicht. Das Geld ist «faul», weil die Kapitalmärkte nicht so gut entwickelt sind – weil es keine Kapitalmarktunion gibt.

Europa ist eine Lifestyle-Supermacht.

Es ist ein kritischer Zeitpunkt für die europäischen Entscheidungsträger und für die europäischen Bürger, zu sagen: Hey, wir dürfen nicht ins Hintertreffen geraten. Wir können tatsächlich viel stärker sein, wenn wir stärker integriert sind.

Sie sagen, Geld sei faul in Europa. In der aktuellen Diskussion stellt sich die Frage: Sind die Leute in Europa faul? So sagte beispielsweise Nicolai Tangen, Manager des norwegischen Ölfonds, in einem viel zitierten Interview, es sei beunruhigend, wie viel fleissiger, ehrgeiziger und weniger reguliert die US-Unternehmen und Arbeitnehmer im Vergleich zu denen in Europa seien. Sie sind selbst Europäerin und haben einen grossen Teil Ihrer Karriere in den Vereinigten Staaten verbracht. Teilen Sie diese Ansicht?

Nun, leider muss ich dem zustimmen. In Europa gibt es durchaus Raum, um Leistungsfähigkeit zu erhöhen. Zum einen geht es um den Lifestyle: Europa ist eine Lifestyle-Supermacht. Aber das hat auch seinen Preis. Und der Preis dafür, dass Europäerinnen und Europäer zum Beispiel mehr Urlaub geniessen als in den USA, ist Wettbewerbsfähigkeit.

Ich bin da zwiegespalten, denn eigentlich finde ich es wichtig, dass die Menschen eine hohe Lebensqualität haben. Und als ich in Europa gelebt habe, habe ich es selbst genossen. Aber kleine Anpassungen in die Richtung einer höheren Produktivität und mehr Aufmerksamkeit dafür, wie wir unsere Arbeitszeit verbringen, wären nicht schlecht.

Das Gespräch führte Stefanie Knoll.

Tagesschau, 14.05.2024, 19:30 Uhr ; 

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