Zum Inhalt springen

Mangel an Arbeitskräften Gibt es zu wenig Fachkräfte – oder sind die Jobs zu unattraktiv?

Firmen klagen, die Politik sucht Lösungen. Ökonomen sind aber nicht überzeugt, dass der Fachkräftemangel so schlimm ist.

Die Schweizer Wirtschaft hat sich nach den Lockerungen der Corona-Massnahmen so rasant erholt, dass die Zahl der Stellenausschreibungen in die Höhe geschossen ist. Am Ende des letzten Jahres gab es noch immer mehr offene Stellen als Arbeitslose – in normalen Zeiten ist das umgekehrt.

Für die Unternehmen sei dies keine einfache Situation, sagt Daniel Kopp, Arbeitsmarktökonom der ETH Zürich: «Arbeitnehmende finden dagegen leichter eine Stelle und können eher gute Löhne und Arbeitsbedingungen aushandeln.»

Soweit die Theorie. In der Praxis sieht es etwas anders aus. Wenn der Fachkräftemangel so ausgeprägt sei, müssten die Arbeitsbedingungen in den betroffenen Branchen deutlich besser werden und die Reallöhne steigen, erklärt Kopp. «Dann würde es wieder attraktiver werden, in diesen Firmen zu arbeiten.»

Allerdings: Letztes Jahr gingen die Reallöhne insgesamt zurück, und auch dieses Jahr wird eine Stagnation erwartet. «Dies spricht aus rein ökonomischer Sicht nicht für einen extrem ausgeprägten Mangel.»

Wenn Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen, muss der Markt reagieren.
Autor: Josef Zweimüller Arbeitsmarktprofessor an der Universität Zürich

Ähnlich sieht es Josef Zweimüller, Arbeitsmarktprofessor an der Uni Zürich. Die Arbeitgebenden müssten mehr anbieten, dann würden sie Arbeitskräfte finden: «Wenn Angebot und Nachfrage nicht zusammenpassen, muss der Markt reagieren. In jenen Branchen, in denen das Problem akut ist, muss man sich überlegen, wie man diese Jobs attraktiver machen kann.»

IT-Fachkraft
Legende: Die Firmen müssten sich anpassen, sagt Zweimüller: «Wenn das nicht möglich ist, ist man gezwungen, die Aktivitäten einzuschränken oder im schlimmsten Fall aufzugeben.» Das sei natürlich hart, aber dieser Wettbewerb um Arbeitskräfte sichere uns langfristig den Wohlstand. Keystone/DPA/Marijan Murat

Im Klartext heisst das: Firmen, die Mühe haben Personal zu finden, müssen die Stellen attraktiver machen, sonst arbeiten die Leute eben woanders und die Firma verschwindet. Aber die Tatsache, dass die Löhne real nicht gestiegen sind, spricht dagegen, dass dieser Wettbewerb schon in aller Härte geführt wird. Der Mangel kann also nicht so gross sein. Soweit die These der Ökonomen.

So können die Firmen auf den Personalmangel reagieren

Box aufklappen Box zuklappen

Aus Sicht der betroffenen Firmen und Branchen sind die fehlenden Arbeitskräfte eine Realität. Für sie gibt es verschiedene Möglichkeiten, auf die Knappheit von Arbeitskräften zu reagieren, sagt Ökonom Kopp: «Eine Möglichkeit ist es, bessere Löhne zu zahlen und bessere Arbeitsbedingungen anzubieten, um Arbeit attraktiver zu machen.»

Eine andere Möglichkeit sei es, zu versuchen, Arbeitskräfte durch Technologien zu ersetzen oder Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. «Sie können auch versuchen, vermehrt die Qualitätsanforderungen anzupassen und mehr unfertige Arbeitskräfte einzustellen, um sie dann besser auszubilden.»

Und wie dürfte sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt in naher und ferner Zukunft entwickeln? Kopp geht davon aus, dass die Firmen reagieren werden: In Branchen, wo der Druck besonders gross ist, haben Arbeitgeber in einer Umfrage angegeben, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wie viel Arbeit gesucht ist, hängt aber auch von der wirtschaftlichen Entwicklung ab.

Dazu kommen laut Kopp langfristige Entwicklungen. «Die demografische Entwicklung führt zu einer Verknappung des Arbeitskräfteangebotes. Die Babyboomer gehen in Rente und werden nicht vollständig durch jüngere Jahrgänge ersetzt. Allerdings wirkt dem die Zuwanderung entgegen und auch eine womöglich weiterhin steigende Erwerbsquote von Frauen.»

Dazu kommt die Frage, wie lange wir künftig arbeiten werden. Wie viele Firmen in der Schweiz tätig sind und wer in der Schweiz wie viel arbeitet, sind aber letztlich auch politische Fragen. Zweimüller gibt weiter zu bedenken: «Wir haben parallel zum Fachkräftemangel die Diskussion, ob uns durch Automatisierung und technologischen Wandel die Arbeit ausgeht.» Und überall, wo Menschen ersetzt werden können, werde wegrationalisiert.

Langfristig ist das Bild also mehr als unklar. Klar ist: Im Jahr 2022 haben in der Schweiz so viele Menschen gearbeitet wie noch nie. Sie waren im Schnitt besser qualifiziert und haben zusammen auch mehr Stunden geleistet als je zuvor.

Ebenso klar ist aber auch, dass viele Arbeitgebende weiter händeringend nach geeignetem Personal suchen. Die Tatsache, dass die Löhne nicht gestiegen sind, lässt vermuten, dass das Klagen der Unternehmer über den Fachkräftemangel grösser ist als das effektive Problem.

Echo der Zeit, 24.02.2023, 18 Uhr

Meistgelesene Artikel