Zum Inhalt springen

Markt versus Klimaschutz Historikerin: «Marktfundamentalisten verhindern Klimaschutz»

Naomi Oreskes hat in einem aufsehenerregenden Buch aufgezeigt, wie Erdölkonzerne seit den 1980er-Jahren mit viel Geld Zweifel an den Grunderkenntnissen der Klimawissenschaft säten. Nun macht die renommierte Wissenschaftshistorikerin der Harvard-Universität deutlich, dass es Massnahmen gegen den Klimawandel oft schwer haben, weil sie als staatliche Eingriffe in den freien Markt diffamiert werden.

Naomi Oreskes

Wissenschaftshistorikerin, Harvard-Universität

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Naomi Oreskes ist Co-Autorin des Bestsellers «Merchants of Doubt» (2010), in dem sie beschreibt, wie Erdölfirmen seit den 1980er-Jahren mit viel Geld Zweifel am wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel schüren. Sie ist eine vielbeachtete Stimme zur Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft, zum Klimawandel und zur Rolle von Desinformation im Zusammenhang mit dem Klimaschutz.

SRF News: Sie haben eine Reihe von Themen untersucht, bei denen der wissenschaftliche Konsens infrage gestellt wurde: von der Schädlichkeit des Tabakkonsums übers Ozonloch bis hin zum Klimawandel. Und Sie zeigen, dass diese Angriffe nicht aus heiterem Himmel kamen, sondern dass es ein Muster gibt. Können Sie dieses Muster erläutern?

Naomi Oreskes: Wissenschaft lebt von Debatten. Aber wenn dieselben Wissenschaftler systematisch Beweise in ganz unterschiedlichen Bereichen anzweifeln, wird das auffällig. Unsere Recherchen zeigten: Dahinter steckt eine politische Ideologie – der Marktfundamentalismus, also der Glaube, dass freie Märkte alle Probleme lösen können und staatliche Regulierung schädlich ist.

Wie ist dieser Marktfundamentalismus entstanden?

Er reicht weit zurück. Als etwa die Kinderarbeit eingeschränkt werden sollte, argumentierten einige Fabrikbesitzer nicht offen für Kinderarbeit, sondern für wirtschaftliche Freiheit. Daraus entstand das Narrativ: Der freie Markt sei Ausdruck persönlicher Freiheit – und staatliche Eingriffe seien Bedrohungen dieser Freiheit.

Märkte sind menschengemacht – sie brauchen Regeln.

Dem könnte man entgegenhalten, dass dort, wo der Staat den Markt dominiert, tatsächlich die persönliche Freiheit leidet.

Das stimmt, und genau das war das Argument von Ökonomen wie Ludwig von Mises und Friedrich von Hayek: Eine staatlich geplante Wirtschaft führe zu Totalitarismus. Solche Warnungen enthalten einen wahren Kern. Aber es gibt keinen völlig freien Markt. Märkte sind menschengemacht – sie brauchen Regeln. Die Frage ist nicht, ob Märkte gut oder schlecht sind, sondern wie sie so gestaltet werden, dass sie dem Gemeinwohl dienen.

Ist der von Ihnen beschriebene Marktfundamentalismus mit Donald Trump auf einem Höhepunkt angelangt?

Ja. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren diese Ideen marginal. Ronald Reagan brachte sie in den republikanischen Mainstream. Seither prägt die Partei eine tiefgreifende Ablehnung staatlicher Regulierung – ob beim Arbeits-, Umwelt- oder Konsumentenschutz. Trump hat das auf die Spitze getrieben, etwa durch den Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen.

Ich bin stolz, dass Harvard sich wehrt.

Das, was die Trump-Administration tut, um die Klimaregulierung rückgängig zu machen, ist also nichts Neues. Aber es ist eine neue Dimension?

Ganz genau. Die Republikaner wollten seit Jahrzehnten die Bundesregierung schwächen – durch Steuersenkungen und Mittelkürzungen. Unter Trump wurde dieser Kurs radikaler umgesetzt. Elon Musk sagt sogar öffentlich, man solle alle Vorschriften abschaffen.

Ihre Universität Harvard stellt sich im Moment gegen die Trump-Regierung, weil diese ihre Mittel kürzen will. Wie wird das enden?

Ich bin stolz, dass Harvard sich wehrt. Die Universität hat Klage eingereicht – mit guten Erfolgsaussichten. Aber bis ein Urteil gefällt ist, verlieren viele Forschende ihre Förderungen. Postdocs und Doktoranden sind betroffen. Das zeigt: Diese politische Agenda trifft nicht nur Institutionen, sondern reale Menschen.

Das Gespräch führte Klaus Ammann.

Echo der Zeit, 14.5.2025, 18 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel