«Das ist eine richtig miese Geschichte. Das macht man nicht.» Rolf Antoniazzi, 56 Jahre alt aus Zürich, erzählt von einer Erfahrung, auf die er gut hätte verzichten können: Online-Dating.
Anfang 2023: Rolf Antoniazzi ist nach dem Tod seiner Partnerin bereit für eine neue Liebe. Er meldet sich auf einer Datingseite an, die von der Firma Qualidates betrieben wird. Für einen kostenlosen Probemonat, das glaubt er zumindest. «Nach nicht einmal zwei Wochen merkte ich: Das ist Bullshit.» Antoniazzi hat den Verdacht, dass es die Damen, die ihn anschreiben, nicht gibt. Zu schnell seien die Antworten gekommen, zu wenig hätten sie sich auf seine Fragen bezogen. Und: zu gross sei der Altersunterschied zu den vermeintlichen Interessentinnen gewesen; er 56, sie 26. Antoniazzi löscht sein Konto, vergisst die Seite, betrachtet das Experiment Online-Dating als beendet.
Das Abo, das er nie wollte
Doch da fangen die Probleme erst an: Obwohl sich Antoniazzi sicher ist, kein Abonnement abgeschlossen zu haben, habe ihm Qualidates 59 Franken und 90 Rappen monatlich berechnet. Erst nach zwei Jahren fallen ihm die Abbuchungen auf. Da sind rund 1500 Franken weg. Sicher, er müsse sich an der eigenen Nase nehmen, dass ihm das so lange nicht aufgefallen sei. Trotzdem glaubt Antoniazzi: Firmen wie Qualidates wollten keine Leute verkuppeln, sondern die Einsamkeit der Kundinnen und Kunden ausnutzen.
Was Rolf Antoniazzi berichtet, konnte man so ähnlich schon oft lesen. Doch sein Fall öffnet die Tür in eine Recherche, die ungleich grösser ist und hunderte Betroffene kennt.
Beschwerden aus ganz Europa
Fakeprofile verschicken identische Nachrichten
Die fünf Firmen werden für ähnliche Maschen kritisiert: Einmal abgeschlossene Abonnemente würden sich automatisch verlängern. Kündigungen würden nicht akzeptiert. Stattdessen trieben die Firmen Forderungen aggressiv über ein Inkassobüro ein, manchmal auch via eine deutsche Anwaltskanzlei.
Mehrere Männer und Frauen berichten SRF Investigativ, dass sie nie in Kontakt mit einer realen Person kamen. Die Webseiten seien voll mit Fakeprofilen.
Um die Erfahrungen der Singles nachzuvollziehen, meldet sich SRF Investigativ auf mehreren Datingseiten an. Unter anderem auf nurswinger.ch der Firma Paidwings und bleibnichtalleine.ch von Qualidates.
Kaum angemeldet, füllt sich das Postfach mit Nachrichten angeblich williger Singles. Erstaunlich: Mehrere Frauen stellen sich mit der exakt gleichen Nachricht vor.
Immer wieder locken die Profile auf andere zahlungspflichtige Dating-Portale. Und die Webseiten sind voller Fakeprofile. Ein Beispiel: «Sarah», 31-jährig, aus Bern.
Statt auf nurswinger.ch will sie auf Telegram weiterschreiben. Dort bietet sie dann Sex für Geld und schickt ein Foto von sich. Doch die Bildrecherche zeigt: In Wahrheit ist es das Bild einer amerikanischen Pornodarstellerin.
Damit konfrontiert, antwortet «Sarah» nicht mehr.
Das Geschäft mit der Einsamkeit ist Big Business
In den letzten zweieinhalb Jahren haben die fünf Betreiberinnen der Webseiten aus dem Kanton Zug mindestens 24 Millionen Euro abgerechnet. Das zeigen interne Daten zu Hochrisikokunden des Zahlungsdienstleisters Worldline.
In der Schweiz kommt man am französischen Konzern Worldline, an dem auch die Schweizer Börsenbetreiberin Six beteiligt ist, nicht vorbei. Wenn eine Kundin ihre Bankkarte zum Beispiel an ein Terminal einer Coop-Filiale oder einer Agrola-Tankstelle hält oder online ihre Kreditkartenangaben absendet, sorgt Worldline im Hintergrund dafür, dass die Zahlung abgewickelt wird.
SRF Investigativ hat zusammen mit dem internationalen Journalisten-Netzwerk European Investigative Collaborations (EIC) interne Daten und Dokumente zu Hochrisikokunden von Worldline und deren Tochtergesellschaften ausgewertet. Die Recherche «Dirty Payments» enthüllt, welche Hochrisikokunden Worldline und ihre Tochterfirmen über Jahre hinweg an den Zahlungsverkehr angebunden haben – darunter Online-Casinos oder Porno-Seiten. Und: die fünf Dating-Firmen aus dem Kanton Zug.
Dating-Firmen sind für Zahlungsdienstleister Risikokunden
Solche Vertragspartner gelten für Zahlungsdienstleister als riskant, erklärt Fabian Teichmann, Rechtsanwalt und Experte für Geldwäschereifragen. Der Zahlungsdienstleiter müsse die Firmen auf Hinweise für mögliche Geldwäscherei überprüfen. Jedoch: «Bei Firmen mit so einem Abo-Modell gibt es viele kleine Transaktionen. Der Finanzdienstleister ist verpflichtet, die Transaktionen zu verifizieren. Das ist ein Riesenaufwand», sagt Teichmann.
SRF Investigativ und die Recherchekooperation EIC haben den Worldline-Konzern mit allen Vorwürfen konfrontiert. Worldline nimmt zu den Zuger Firmen keine Stellung und beantwortet keine konkreten Fragen. Generell schreibt der französische Konzern, dass Betreiber von Dating-Portalen im Allgemeinen als Risiko eingestuft würden. Deren Kundschaft würde häufiger Geld zurückverlangen, als es bei anderen Geschäftsmodellen üblich sei.
Hohe Margen werfen Fragen auf
Für ihre Arbeit kassieren Zahlungsdienstleister wie Worldline einen Teil jedes Transaktionsbetrags. Bei einem Zugticket liegen diese Margen zum Beispiel zwischen 0.5 und 2 Prozent – je nach Zahlungsmittel oder Herkunft der Karte. Die Recherchen des Projekts «Dirty Payments» zeigen derweil: Tochterfirmen des Worldline-Konzerns berechneten den fünf Zuger Firmen Margen zwischen 3.8 und 8.6 Prozent pro Transaktion. Das zeigen interne Daten zu Hochrisikokunden des Worldline-Konzerns aus dem Jahr 2023 über eine Zeitspanne von zwölf Monaten.
«Ich sehe sehr hohe Gebühren immer kritisch», sagt Rechtsanwalt Teichmann. «Warum werden sie in dieser Höhe erhoben, und warum werden sie bezahlt?» Der Zahlungsdienstleister könne die hohen Gebühren mit einem erhöhten Prüfaufwand legitimieren. Doch ein Unternehmen akzeptiere solche hohen Gebühren wohl kaum, wenn es günstigere Alternativen hätte. «Aber wenn kein anderer Finanzdienstleister Geschäfte mit Ihnen machen wollte, dann wären diese Gebühren vielleicht ein attraktives Angebot.»
Worldline kommentiert die hohen Margen nicht. Das Unternehmen schreibt, dass es sich zu hohen Compliance-Standards verpflichten würde, um Finanzkriminalität zu verhindern. «Wir haben unsere Ressourcen in diesem Bereich verstärkt.» Die Betrugsrate liege beim Konzern unter dem Branchendurchschnitt.
Scheinbar ahnungslose Verwaltungsräte
SRF Investigativ hat die Verwaltungsräte der Schweizer Firmen Paidwings, Qualidates, Date4friend, Dateyard und Dateblaster kontaktiert. Keine der angefragten Personen wollte sich telefonisch zum Geschäftsmodell äussern. Teilweise gaben sie an, sie hätten mit der Firma nichts zu tun. Oder sie schienen nicht zu wissen, was die Gesellschaft, der sie vorstehen, genau macht.
Die Firmen selbst schrieben auf Anfrage, ihr Angebote sei rechtskonform und die Zufriedenheit ihrer Kundschaft oberstes Ziel.
SRF Investigativ hat auch den Zuger Treuhänder und die Eins11 – die Gründerin von vier der fünf Dating-Firmen – mit den Vorwürfen konfrontiert. Eine Antwort blieb aus.
Zwei Firmen sind abgemahnt
«Wir sind der Meinung, dass die Gesellschaften gegen das Gesetz verstossen», sagt Philippe Barman. Er ist Rechtsanwalt beim Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und beschäftigt sich seit längerem mit den Zuger Firmen. Das Seco hat Dateyard und Paidwings mit einem Warnschreiben aufgefordert, ihre Geschäftspraktiken anzupassen. Diese Abmahnung habe jedoch keine Wirkung gezeigt.
Wir sind der Meinung, dass die Gesellschaften gegen das Gesetz verstossen.
Aus den Beschwerdeschreiben geprellter Kundinnen und Kunden, die dem Seco vorliegen, erkennt Barman mögliche Verletzungen gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb UWG. «Wenn eine Webseite so gestaltet ist, dass es schwierig ist, zu kündigen, dann ist das in unseren Augen eine Verletzung des Prinzips von Treu und Glauben des UWG.» Zudem sei es irreführend, wenn eine Firma nach einer Kündigung weiterhin Rechnungen verschicke.
Ein Gerichtsentscheid könnte Klarheit schaffen
Allerdings gilt: Bislang hat kein Gericht bei den Zuger Firmen illegale Praktiken festgestellt. Das Seco könnte mit einem Strafantrag juristisch gegen die fünf Dating-Firmen vorgehen. «Aber im Moment sind uns die Hände gebunden», sagt Barman. Viele Beschwerden erhalte das Seco anonym. «Damit können wir nicht vor Gericht, wir brauchen klare Beweise.»
Für Rolf Antoniazzi hat sich das Thema Online-Dating inzwischen erledigt. Die Suche nach einer Partnerin hat er wieder in die echte Welt verlegt: «Ich hoffe, der berühmte Funke zündet so wie früher bei einer sympathischen Begegnung im Restaurant, am See oder am Arbeitsplatz. Das wäre schön.»