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Nachhaltiges Fliegen Flugscham war gestern – nun sind neue Lösungen gefragt

Die Airline-Industrie hat volle Auftragsbücher und muss gleichzeitig bis 2050 klimaneutral werden.

Nicht nur die Schweiz soll nach dem Ja zum Klimagesetz bis 2050 ihre Emissionen auf Netto-Null reduzieren – auch die Airline-Industrie will im gleichen Zeitraum hin zur klimaneutralen Fliegerei.

Dafür braucht es allerdings einen grossen Sprung: Denn aller Diskussionen rund um den Klimawandel zum Trotz, von der Flugscham ist bei den Passagieren nicht viel übrig geblieben.

Gut gefüllte Auftragsbücher

Die Flugbranche geht davon aus, dass allein dieses Jahr über 4.4 Milliarden Passagiere rund um den Globus transportiert werden. Praktisch gleich viele wie vor der Pandemie. Und: Der Dachverband der Fluggesellschaften IATA schätzt, dass sich diese Zahl bis 2040 noch verdoppeln wird. «Durch den wirtschaftlichen Aufschwung in Ländern wie etwa China oder Indien entsteht gerade eine neue Mittelschicht, die sich das Fliegen leisten kann und das immer mehr tut», sagt Luftfahrtexperte Stefan Eiselin vom Magazin Aerotelegraph.

Es entsteht gerade eine neue Mittelschicht, die sich das Fliegen leisten kann.
Autor: Stefan Eiselin Luftfahrt-Experte

Weil wieder mehr geflogen wird, braucht es auch mehr Flugzeuge: Die Auftragsbücher der Hersteller sind gut gefüllt. So verkündet heute Airbus am Rande der in Le Bourget bei Paris stattfindenden grössten Messe der Airline-Industrie einen lukrativen Vertrag mit dem indischen Billigflieger Indigo. 500 Flugzeuge für rund 50 Milliarden US-Dollar dürfen die Europäer bauen. Bereits vor rund einem Monat bestellte die irische Ryanair beim amerikanischen Konkurrenten Boeing 300 Flugzeuge für 40 Milliarden.

Die Grossen sind dran

Will die Industrie bei aller Euphorie das deklarierte Netto-Null-Ziel nicht aus den Augen verlieren, sind dringend Lösungen gefragt. Zum Beispiel in Form von neuen Technologien. Der Druck steigt. Denn laut IATA braucht es dafür eine Kombination aus nachhaltigem Treibstoff, mehr Effizienz und dem Ausgleich von Emissionen. Luftfahrtexperte Eiselin glaubt, dass die grossen Airlines begriffen haben, dass es bereit eins vor zwölf ist. «Es kommt zwar spät, aber ich glaube, die Fluggesellschaften sind jetzt ernsthaft daran, das Problem zu lösen. Sie möchten letztlich auch ihr eigenes Geschäftsmodell erhalten.»

Eine Art Helikopter in der Luft.
Legende: Fliegen, ohne CO₂ auszustossen: Volo City – ein elektrisch betriebenes Flugtaxi – wird an der Airshow in Le Bourget vorgestellt. Keystone/EPA/CHRISTOPHE PETIT TESSON

Nachhaltige Treibstoffe seien dabei zwar wichtig, letztlich aber eine Übergangslösung, ist Eiselin überzeugt. Auf lange Sicht biete sich Wasserstoff als Treibstoff für Flüge auf der Langdistanz an. Für sehr kurze Strecken unter eineinhalb Stunden und mit wenigen Passagieren könnten Elektro-Flugzeuge zum Einsatz kommen.

Die Schweiz entwickelt mit

Daran tüftelt auch Flugpionier André Borschberg. Er hat 2016 mit Bertrand Piccard in einem Solar-Flugzeug die Welt umrundet. Damals habe die Industrie das zwar interessant gefunden, im Elektro-Flugzeug aber kaum die Zukunft gesehen. Jetzt sei das ganz anders: «Nächstes Jahr wird unsere Technologie auf den Markt kommen. Die Flugzeughersteller suchen dringend Lösungen und wir glauben, dass unsere Technologie das leisten kann.»

Die Flugzeughersteller suchen dringend Lösungen und wir glauben, dass unsere Technologie das leisten kann.
Autor: André Borschberg Flugpionier

Bis 2030 sollen sogenannte hybride Technologien bereits für längere Strecken eingesetzt werden. Dabei lassen sich rund 30 Prozent Treibstoff sparen, für die Branche ist das auch aus Kostengründen sehr interessant. Denn Treibstoff werde immer teurer, speziell, wenn man auf nachhaltige Treibstoffe zurückgreifen müsse.

Das Jahr 2050 ist zwar noch weit weg. Für die Airline-Industrie und ihr Netto-Null-Ziel dürfte es allerdings bereits morgen kommen.

Wirtschaft, 19.6.23, 07.40 Uhr

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