Qualvolle 90 Minuten lang wurde der gekidnappte, verängstigte und höchstwahrscheinlich gefolterte Journalist Roman Protassewitsch Anfang Juni im belarussischen Staatssender von einem Moderator verhörartig befragt. Ein unwürdiges Schauspiel.
Auf demselben Sender läuft regelmässig fröhliche Werbung für Produkte wie Nesquik oder Nescafé. Ein Skandal, findet die belarussische Opposition. Nestlé finanziere mit der Werbung ein verbrecherisches Regime.
Nestlé reagiert
Die Opposition versucht seit Wochen, moralischen Druck auf Nestlé aufzubauen und den Konzern dazu zu bringen, seine Werbung in den staatlich kontrollierten belarussischen Sendern einzustellen.
Gemäss einer Auswertung der Opposition schaltet Nestlé deutlich mehr Werbespots in Lukaschenkos Propaganda-Fernsehen als alle ausländischen Unternehmen zusammen. Das spült riesige Summen ins Budget des Machthabers. Nun hat der Nahrungsmittelmulti sein Werbebudget für Belarus reduziert. Das bestätigte ein Nestlé-Sprecher auf Anfrage von Schweizer Radio SRF.
«Wir halten uns an alle Gesetze und Sanktionen»
«Wir verfolgen die Entwicklungen in Belarus sehr aufmerksam»», heisst es in der Stellungnahme. Und weiter: «Grundsätzlich positionieren wir uns in den Ländern, in denen wir tätig sind, nicht nach politischen Vorgaben und halten uns an alle geltenden Gesetze und Sanktionen. TV-Werbung ist ein wichtiger Weg, um unsere Verbraucher zu erreichen.» Aufgrund der regelmässigen Überprüfung der Werbeaktivitäten sei das Werbebudget für Belarus bereits deutlich reduziert worden, betont der Konzern.
Aufgrund der regelmässigen Überprüfungen haben wir unser Werbebudget für Belarus bereits deutlich reduziert.
Lukaschenko droht offen
Um wieviel das Budget zurückgefahren wurde, war bei Nestlé nicht zu erfahren. Und warum zieht man sich nicht ganz von den Staatssendern zurück?
Insider in Belarus meinen, Nestlé wolle es sich mit Lukaschenko nicht ganz verderben – man fürchte seinen Zorn. Denn als die Firmen Nivea und Skoda Anfang Jahr beschlossen, die ursprünglich in Minsk geplante Eishockey-WM zu boykottieren, wurden sie gleich ganz aus dem Land und seinem lukrativen Markt verbannt.
Lukaschenko sprach denn auch erst am Dienstag in einer Rede im Zusammenhang mit den Sanktionen der EU eine deutliche Drohung an alle Firmen aus: «Wir haben Erfahrung. Erinnert Ihr Euch an Skoda, Nivea und so weiter? Wir haben ihnen gesagt: Danke und auf Wiedersehen.»
Unternehmen in der Zwickmühle
Nestlé befindet sich in einer schwierigen Situation. Lukaschenko hat die unabhängigen Medien geschlossen – Werbung kann also nur noch auf staatlichen Kanälen stattfinden.
Und der Konzern befürchtet, Lukaschenko zu verärgern und ganz aus dem lukrativen Markt verbannt zu werden. Gleichzeitig droht dem Multi ein nachhaltiger Imageschaden, wenn er sich nicht deutlich von einem Regime distanziert, das sich mit jedem Tag ruchloser und brutaler verhält.