Das Wichtigste in Kürze
- Novartis testet ein neues Blockbuster-Medikament gegen Alzheimer.
- Das Ungewöhnliche: Das Medikament muss vor dem Auftreten der ersten Alzheimer-Symptome verabreicht werden.
- Die Testphase erweist sich als heikel: Probanden erfahren, ob sie ein erhöhtes Alzheimer-Risiko haben.
- Auch nach der Zulassung werden kritische Fragen zu klären sein.
Novartis-Chef Joe Jimenez kämpft mit sinkenden Erträgen . Wichtige Blockbuster-Medikamente haben ihren Patentschutz verloren, Umsätze in Milliardenhöhe gehen verloren. Da käme ein wirksames Medikament gegen Alzheimer wie gerufen. Doch der Härtetest für das Alzheimer-Projekt von Novartis steht erst noch bevor.
Je früher, desto besser
Das Ungewöhnliche am Weg, den die Novartis-Forscher um Projektleiterin Ana Graf gewählt haben, ist der Zeitpunkt, an dem das Medikament verabreicht werden soll – nämlich viele Jahre vor den ersten Alzheimer-Symptomen.
Ana Graf glaubt, dass viele bisherige Medikamente daran gescheitert sind, dass sie zu spät in den Krankheitsprozess eingegriffen haben und der Schaden bereits angerichtet ist. Sie sagt gegenüber «10vor10»: «Die Eiweiss-Ablagerungen im Gehirn, die eigentlichen Hirnschäden, beginnen bereits 15 bis 20 Jahre vor den ersten Symptomen. Darum glauben wir, dass wir auf dem richtigen Weg sind.»
Aufwendige Studie
Das Medikament soll an Hoch-Risiko-Patienten getestet werden, an Menschen, die zwei Kopien eines bestimmten Risiko-Gens besitzen. Doch die meisten Träger wissen nichts davon. Um die 1300 geeigneten Probanden für die weltweite Patientenstudie zu finden, müssen die Forscher darum zwischen fünfzig- und hunderttausend Freiwillige genotypisieren.
Und bereits hier zeigt sich das Heikle am Ansatz von Novartis. Durch diese Gentests erfahren viele Menschen, dass sie ein etwa 50-prozentiges Risiko haben, im Alter von 85 Jahren an Alzheimer zu leiden. Reto Kressig, ärztlicher Leiter des Felix Platter-Spitals in Basel, der sich an der Patientenstudie beteiligt, sagt darum: «Es ist eine grosse Herausforderung, Menschen, die sich für Studien zur Verfügung stellen, mitzuteilen, dass sie ein besonders hohes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken.» Die Probanden werden darum während der rund fünfjährigen Studie psychologisch begleitet.
Heikle Fragen noch zu klären
Bis klar ist, ob das Medikament auch hält, was es verspricht, geht es noch mindestens fünf Jahre. Falls die Resultate aber gut sind und das Medikament zugelassen wird, hat Novartis einen neuen Blockbuster auf sicher. Denn weltweit leiden dreissig Millionen Menschen an Demenz, und Alzheimer ist die häufigste Form von Demenz. Und allein in der Schweiz rechnet man damit, dass Demenz jährliche Kosten von sieben Milliarden Franken verursacht.
Aber auch im Erfolgsfall wären viele heikle Fragen zu klären: Zum Beispiel, ob Menschen, die ein hohes Risiko haben, an Alzheimer zu erkranken, unter Druck geraten könnten, das Medikament einzunehmen, auch wenn sie das nicht wollen. Aber auch, ob die Gesellschaft bereit ist, für ein Medikament zu zahlen, das präventiv abgegeben wird. Denn nicht jeder, der ein hohes Risiko hat, erkrankt auch tatsächlich an Alzheimer.
Novartis-Konzernchef Joe Jimenez gibt sich allerdings zuversichtlich: «Die Gesundheitssysteme würden dank einem solchen Medikament enorm viel Geld sparen. Wir würden einen kleinen Prozentsatz davon für uns verlangen – für den Aufwand, den wir mit dem Medikament hatten.»