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Das Beispiel Dänemark: Lenkungsabgabe statt Subventionen
Aus ECO vom 02.09.2019.
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Pestizide und Landwirtschaft Übers Portemonnaie lässt sich der Einsatz steuern

Schweizer Bauern profitieren beim Pestizid-Kauf von Steuerreduktionen. Dänemark macht das Gegenteil – und hat Erfolg.

Er produziert das, was am Ende Bier ergibt: Christian Lerche pflanzt unweit von Kopenhagen auf 400 Hektaren Malz und Winterweizen an. Und verkauft es an Brauereien im In- und Ausland.

Früher kaufte Lerche jedes Jahr für gut 35'000 Euro Pestizide ein, um seine Pflanzen vor Unkraut zu schützen. Seit Dänemark eine Lenkungsabgabe eingeführt hat, ist dieser Ausgabeposten doppelt so hoch.

Was die Lenkungsabgabe von der Steuer unterscheidet

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Der Hauptzweck von Steuern ist es, Einnahmen für die Staatskasse zu generieren.

Mit einer Lenkungsabgabe dagegen will der Staat in erster Linie das Verhalten der Abgabepflichtigen in eine politisch gewünschte Richtung lenken.

Das Geld aus der Lenkungsabgabe fliesst nicht in die Staatskasse, sondern zurück zum Kreis der Zahlenden.

«Natürlich achten wir nun stärker darauf, genau die richtige Menge zu verwenden, so wenig wie möglich», sagt Lerche. Und gibt offen zu: «Ohne die hohen Abgaben wären wir da flexibler.»

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Christian Lerche: «Wir achten darauf, so wenig wie möglich zu verwenden.»
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Unter dem Strich bleibt Lerche am Ende des Jahres dennoch weniger Geld. Denn: «Wenn du krank bist und Medikamente brauchst, gehst du ja auch in die Apotheke und zahlst, egal was es kostet.»

Schweiz: Subventionen statt Abgaben

Schweizer Bauern müssen sich vor solchen Abgaben nicht fürchten. Der Bundesrat hatte sie einst geprüft, eine Studie machen lassen – die zeigte, dass die Lenkungsabgabe funktionieren würde – und die Idee dann verworfen.

Und so zahlen Schweizer Bauern bis heute keine Abgabe, sondern profitieren im Gegenteil von einem reduzierten Mehrwertsteuer-Satz von 2.5 Prozent auf Pestizide.

Pestizid-Belastung in Dänemark um 44 Prozent gesenkt

Der Wissenschafter Anders Branth Pedersen hat einen ganz anderen Blick auf die Lenkungsabgabe, die Dänemark 2013 eingeführt hat mit dem Ziel, die Pestizidbelastung zu senken.

Pedersen ist Forschungsleiter an der Universität Aarhus. Ihn interessiert das grosse Bild, und dieses beschreibt Pedersen so: «Seit 2013 geht die Pestizidbelastung stark zurück. 2017 ist sie im Vergleich zu 2011 um 44 Prozent tiefer».

Ziel erreicht. Mehr als das, denn erhofft hatten sich die Architekten der Lenkungsabgabe eine Reduktion um 35 Prozent.

Das dänische System

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Je stärker ein Pestizid die menschliche Gesundheit, Tiere und Pflanzen belastet, und je grösser seine möglichen Schäden für Böden sind, desto höher die Abgabe. Die schädlichsten Pestizide kosten heute 12 Mal mehr als früher.

Die Abgaben auf die Pestizide füllen nicht die Staatskassen, sondern fliessen zurück zu den Bauern. Dazu später.

Die Angst war unbegründet

Die dänischen Bauern waren von Beginn weg gegen die Lenkungsabgabe. Sie sind es bis heute. Auch wenn die schlimmsten Befürchtungen nicht eingetreten sind, wie Søren Thorndal Jørgensen vom Bauern- und Lebensmittel-Rat sagt.

«Anfangs befürchteten wir, dass einige Pflanzen bald nicht mehr in Dänemark angepflanzt würden, weil Sprühen so viel teurer wurde.» So weit gekommen sei es aber nicht, weil sich die Bauern angepasst hätten. «Sie sind auf Pestizide umgestiegen, die die Umwelt weniger belasten und darum mit weniger hohen Abgaben belegt sind.»

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Søren Thorndal Jørgensen: «Wir befürchteten, dass einige Pflanzen bald nicht mehr in Dänemark angepflanzt würden.»
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Die Hauptkritik der Bauern: Die Abgabe verteuert die Produktion. Dänemarks Bauern exportieren zwei Drittel ihrer Ernte, und im internationalen Wettbewerb ist jede Verteuerung ein Nachteil.

Christian Lerche und seine Berufskollegen haben es aber geschafft, die Exportmenge stabil zu halten. Womöglich ist ihre Marge tiefer als einst.

Wie die Millionen zurückfliessen

Etwas mehr als 70 Millionen Euro kostet die Abgabe die dänischen Bauern jedes Jahr. Das Geld fliesst zu ihnen zurück: einerseits über eine reduzierte Landsteuer, andererseits über landwirtschaftliche Fonds, welche mit dem Geld Forschung und Entwicklung im Agrarsektor finanzieren.

Rikke Lilienthal arbeitet für einen solchen Fonds. Sie sagt: «Wir finanzieren zum Beispiel Projekte, die helfen sollen, die Pflanzen robuster zu machen. Oder Projekte, welche das Wohl der Tiere verbessern.»

Bei vielen Projekten gehe es ums Tierfutter: «Dessen Einsatz soll für Bauern günstiger werden und Schweine und Kühe leistungsfähiger machen», so Lilienthal.

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Rikke Lilienthal: «Wir finanzieren Projekte, die helfen sollen, die Pflanzen robuster zu machen.»
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Dieses landwirtschaftliche Knowhow, die reduzierte Landsteuer und die Möglichkeit, mit dem Umsteigen auf weniger schädliche Pestizide hohe Abgaben zu vermeiden: Das könne sich für den Bauer rechnen, sagt Wissenschafter Anders Branth Pedersen: «Wer den Pestizid-Einsatz genügend stark senkt, kann trotz der Lenkungsabgabe unter dem Strich mehr Geld in der Tasche haben.»

Das ist bei Bauer Christian Lerche nicht der Fall, sagt er. Was er, der diese Lenkungsabgabe ablehnt, auch sagt: «Wenn es etwas Gutes daran gibt, dann hoffentlich, dass wir dereinst führend sind, wenn es um neue Methoden für unser Getreide geht.»

Wir haben heute schon Anreize, die wirken.
Autor: Markus Ritter Präsident Schweizer Bauernverband

Markus Ritter, dem Präsidenten des Schweizer Bauernverbands, sind Verbote lieber als eine Lenkungsabgabe. «Ganz giftige Pestizide möchten wir verbieten, das ist der richtige Weg.» Dieses Jahr seien schon 19 Bewilligungen entzogen worden.

Wären Anreize nicht besser als Verbote? «Wir haben heute schon Anreize, die wirken», sagt Ritter. Einerseits seien Pflanzenschutzmittel viel teurer als in der EU, andererseits gebe es in der Agrarpolitik Anreizprogramme, die honorieren, wenn weniger Mittel eingesetzt werden oder ganz darauf verzichtet wird.

Menge verkaufter Pestizide sagt nichts über Schädlichkeit aus

Ritter selbstbewusst: «Wir sind in der Schweiz eigentlich viel weiter, als es Dänemark vor Einführung der Lenkungsabgabe war.»

Die Menge verkaufter Pestizide ist in der Schweiz tatsächlich rückläufig. Nur: Die Mengen sagen über die Schädlichkeit nichts aus. In der Schweiz fehlt ein Belastungs-Index, wie ihn Dänemark hat. Ein Index, der es erlaubt, zu messen, wie gross die Belastung durch Pestizide ist.

Und: So überzeugt vom Fortschritt der Bauern in Sachen Pestizide sind in der Schweiz nicht alle. Sonst kämen kommendes Jahr nicht zwei Initiativen vors Volk, die Pestizide ganz verbieten beziehungsweise Direktzahlungen an den Verzicht auf Pestizide knüpfen wollen.

Zwei Initiativen gegen Pestizide

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Voraussichtlich nächstes Jahr kommen zwei Initiativen vors Volk, welche den Pestizid-Einsatz senken wollen:

  • Die Trinkwasser-Initiative: Nur noch jene Bauern sollen Direktzahlungen erhalten, die auf Pestizide verzichten.
  • Die Pestizid-Initiative: Synthetische Spritzmittel sollen komplett verboten werden – auch der Import von Produkten, die mit Pestiziden behandelt wurden.

Der Nationalrat hat im Juni beide Initiativen deutlich abgelehnt. Als Nächstes wird sich der Ständerat mit ihnen befassen.

Bauernpräsident Markus Ritter bekämpft die Vorlagen mit Zahlen: Tausende Arbeitsplätze würden sie in Verarbeitung, Handel und Landwirtschaft vernichten. Und die Preise von Lebensmitteln um 20 bis 40 Prozent erhöhen, weil es nur noch Bio-Produkte zu kaufen gäbe. Dem, so Bio-Bauer Ritter, «wird kaum jemand mit gutem Gewissen zustimmen können.»

Wer es doch tut, wird mit anderen Zahlen argumentieren. Etwa mit jenen aus dem neusten Bericht des Bundesamtes für Umwelt (Bafu).

Darin heisst es, bei mehr als 50 Prozent aller Messstellen seien Wirkstoffe oder Abbauprodukte von Pflanzenschutzmitteln nachweisbar. Und: «Hauptquelle (…) ist die intensive Landwirtschaft».

Ritter sagt, der Bericht arbeite mit veralteten Daten. Werden die Resultate besser ausfallen, wenn das Bafu dereinst einen neuen Bericht erstellt? Ritter: «Davon dürfen wir ausgehen».

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Kampf gegen Pestizide in der Schweiz
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«Wir müssen die Risiken reduzieren, nicht die Mengen»

Robert Finger

Robert Finger

ETH Zürich

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Robert Finger ist Professor für Agrarökonomie an der ETH Zürich. Er leitet dort die Agricultural Economics and Policy Group.

Robert Finger und sein Team forschen an der Schnittstelle zwischen Agrarwissenschaften und Agrarökonomie. Schwerpunkte sind der Klimawandel und neue Technologien.

Für Robert Finger sind die beiden Initiativen «eine Art Seismograf, der die gesellschaftlichen Verwerfungen der Schweizer Agrarpolitik registriert», wie er vergangenes Jahr im «Tagesanzeiger» sagte.

SRF: Herr Finger, in der Schweiz werden heute fast zehn Prozent weniger Pestizide verkauft als vor zehn Jahren. Das ist doch ein gutes Zeichen.

Robert Finger: Nicht unbedingt. Wir müssen nicht die Mengen reduzieren, sondern die Risiken für Mensch und Umwelt. Und für diese Risiken ist die Menge kein guter Indikator.

Denn kleine Mengen eines sehr riskanten Pflanzenschutzmittels können wesentlich schlimmere Auswirkungen haben als grosse Mengen eines sehr ungefährlichen.

Die Kritik an Pestiziden wächst. Lässt sich deren Einsatz einfach weiter senken?

Es gibt Mittel und Wege, die Frage ist einfach, zu welchem Preis. Es gibt mögliche Nebenwirkungen wie tiefere Erträge und die Beeinträchtigung von anderen Umweltzielen, etwa den Bodenschutz.

Mittelfristig ist es aber durchaus möglich, diese Zielkonflikte zu minimieren, wenn Bauern die Anbausysteme anpassen und andere Technologien nützen.

Dann müssen Konsumenten aber auch bereit sein, mehr für die Produkte zu bezahlen.

Es gibt immer zwei Komponenten: die Kompensation über den Markt und jene über den Steuerzahler. Ein gutes Beispiel ist die Brotgetreide-Produktion. Mehr als 50 Prozent werden im Extenso-Verfahren produziert, das mit sehr reduziertem Pestizid-Einsatz auskommt.

Die Bauern erhalten dafür einerseits Direktzahlungen vom Bund, sie können aber am Markt auch mehr verlangen. Das zeigt, dass gut gesetzte Anreize zu besseren Anbauverfahren führen und Zielkonflikte minimieren können.

Umweltschutz und eine nachhaltige Landwirtschaft sind Verfassungsziele.

Kann es sich die Schweiz leisten, in Sachen Pestizid-Reduktion nicht rasch vorwärts zu machen?

Nein. Erstens, weil Umweltschutz und eine nachhaltige Landwirtschaft Verfassungsziele sind, an deren Erreichung die Subventionen für die Bauern gekoppelt sind. Und diese Ziele werden derzeit nicht erreicht.

Zweitens, weil Konsumenten und Stimmvolk diese Entwicklungen nachfragen. Und drittens, weil auch die Konkurrenten, zum Beispiel Nachbarländer, vorwärts machen. Schritte in die richtige Richtung sind gemacht, müssen aber forciert werden.

Pestizide werden in der Schweiz via reduzierten Mehrwertsteuersatz subventioniert. Ist das sinnvoll?

Es wäre ein wichtiger symbolischer Akt, den reduzierten Mehrwertsteuer-Satz aufzuheben. Auf die Menge ausgebrachter Pestizide hätte das vermutlich aber keine grosse Auswirkung. Eine zusätzliche Lenkungsabgabe auf Pflanzenschutzmittel wäre, wenn richtig ausgestaltet, hingegen zielführend.

Dänemark hat seit 2013 eine solche Lenkungsabgabe. Besonders schädliche Pestizide werden mit einem hohen Risiko-Indikator bewertet und mit besonders hohen Abgaben belegt.

Der grosse Vorteil des dänischen Systems ist, dass es die Risiken jedes Pflanzenschutzmittels für Mensch und Umwelt klar messbar und kommunizierbar macht. Danach ist die ganze Politik ausgerichtet, das System macht Politikziele klar kommunizierbar und messbar.

Basierend auf diesem Indikator werden Pflanzenschutzmittel mit hohem Risikopotential höher besteuert. Sowohl das Verwenden eines messbaren Indikators als auch die Lenkungsabgabe wären auch für die Schweiz ein interessantes System.

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