Avelinas Augen leuchten, als ihre Mutter sie kurz nach halb sieben Uhr weckt. Es sind diese kleinen Momente, die der Familie Läubin Kraft geben, den Alltag zu meistern. Ein Alltag, der anders abläuft als jener der meisten Familien.
«Sie lehrt uns, jede Minute zu schätzen», sagt Katherina Läubin. Ihre siebenjährige Tochter leidet vermutlich an einem seltenen Gendefekt. Eine definitive Diagnose fehlt noch immer. Obwohl schon nach wenigen Wochen klar war, dass einiges auf die Familie zukommen wird.
Kampf um Hilfe
Als zehnmonatiges Baby führte bei Avelina ein epileptischer Anfall zu einem Atemstillstand. Wegen einer Hüftdysplasie musste sie zudem zwei grosse Hüftoperationen durchstehen.
Weil die Krankheiten von der Invalidenversicherung anerkannt sind, zahlt diese eine Hilflosenentschädigung aus. Doch deren Organisation war kein Selbstläufer.
Viele Betroffene wissen gar nicht, dass ihnen Hilfe zusteht.
Das Ehepaar musste zuerst herausfinden, welche Unterstützung es überhaupt gibt. «Wir haben ein Netz gesponnen zwischen Ärzten, Versicherungen und anderen betroffenen Eltern», sagt Christoph Läubin. Laut Sibylla Kämpf, Präsidentin der Elternvereinigung «intensiv kids», ist dies kein Einzelfall.
Fehlendes Wissen oder fehlende Diagnose
Viele Betroffene müssen sich mühsam selbstständig Informationen beschaffen und Hilfe organisieren. Längst nicht alle bekommen sie. «Entweder wissen Betroffene nicht, dass ihnen Hilfe zusteht. Oder die Kinder haben keine offizielle Diagnose und deshalb keinen Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung», sagt Kämpf. Das sei oft eine enorme Belastung für die Familien.
Erika Sjögren kämpft seit Monaten vergebens um finanzielle Unterstützung für ihre Tochter Lea. Seit vier Jahren leidet diese an Long Covid, woraus sich ME/CFS – ein chronisches Erschöpfungssyndrom – entwickelt hat. Schon einzelne Schulstunden erschöpfen sie extrem, sodass sie täglich nur wenige besucht und sich nach diesen sofort hinlegt.
Dass Tochter Lea keine Hilflosenentschädigung bekommt und Sohn Nilas, der an Autismus leidet, schon, ist für die Mutter völlig unverständlich: «Lea braucht vom Aufstehen bis zum Zubettgehen nonstop Betreuung. Das ist überhaupt nicht altersgemäss.»
Dilemma zwischen Job und Pflege
Zwar kommt bei Lea beinahe täglich die Spitex für die Körperpflege. Dennoch ist die Betreuung für die Mutter ein Kraftakt neben ihrem 90-Prozent-Job, weshalb sie nun das Pensum reduzieren will. «Ich habe Angst, dass ich die medizinischen Kosten nicht mehr tragen kann, wenn ich das Pensum stärker reduziere», sagt Sjögren.
Es ist wichtig, dass Betroffene wissen, dass sie nicht alleine sind und andere ihr Schicksal teilen.
Viele stecken in einem ähnlichen Dilemma, sagt Sibylla Kämpf. Nicht selten würden Familien am Schicksal zerbrechen. Ihr Verein «intensiv kids» unterstützt in solchen Situationen, vernetzt und schafft vor allem Sichtbarkeit und Verständnis: «Nach einer Diagnose verlieren viele den Boden unter den Füssen. Es ist wichtig, dass Betroffene wissen, dass sie nicht alleine sind und andere ihr Schicksal teilen.»