Worum geht es? Auf einer Doppelseite hat die NZZ am Freitag den Fall Pierin Vincenz ausgebreitet. Seit die Zürcher Staatsanwaltschaft gegen den ehemaligen Raiffeisen-Chef Anfang November letzten Jahres offiziell Anklage erhoben hat, vergeht kaum eine Woche, ohne dass weitere Details zur Causa Vincenz bekannt werden. Es scheint, dass noch vor Prozessbeginn versucht wird, durch gezieltes Streuen von Informationen aus der Anklageschrift oder aus anderen Quellen das Verfahren zu beeinflussen. Dabei hat das zuständige Zürcher Bezirksgericht just dies verhindern wollen. Es verfügte, dass die Klageschrift nicht veröffentlicht wird, um einer Vorverurteilung entgegenzuwirken. Denn – egal was über den Fall Vincenz bereits geschrieben und spekuliert wurde – es gilt die Unschuldsvermutung für alle sieben Angeklagten in diesem Strafverfahren. Wie es sich in einem Rechtsstaat geziemt.
Was ist bekannt im Fall Vincenz? Einiges ist bereits medial durchgesickert: Etwa wie genau sich Vincenz und sein langjähriger Kompagnon Beat Stocker durch verschiedene Transaktionen und Beteiligungen persönlich bereichert haben sollen. Indem sie sich auf der Seite der Verkäufer am Vehikel beteiligten, die Transaktionssumme nach oben trieben und dafür sorgten, dass die Käuferseite, namentlich Raiffeisen und Aduno, wo sie tätig waren, diese Deals auch schluckte. Weiter war zu erfahren, dass Vincenz ein eifriger Spesenritter gewesen sein soll, der viel Geld in Erotiketablissements und auf Reisen verpulverte und über seinen Arbeitgeber abrechnete. Dass der damals amtierende Verwaltungsratspräsident Johannes Rüegg-Stürm die Spesen trotz einschlägiger Namensbezeichnungen bei den Positionen offenbar ahnungslos absegnete, breitete die SonntagsZeitung kürzlich aus.
Wann kommt es zum Prozess? Der genaue Termin ist nicht bekannt, das Finanzportal «Inside Paradeplatz», das den Fall Vincenz mit seinen Enthüllungen medial ins Rollen brachte, schreibt von «voraussichtlich Herbst 2021» mit Bezug auf eine richterliche Eingabe am Obergericht in Zürich.
Wie gehts es weiter? Zuerst wird nun entschieden, an welchem der zwölf Bezirksgerichte im Kanton Zürich der Prozess durchgeführt werden soll. Das soll Anfang Frühling geschehen, wie es auf Anfrage heisst. Eine Verlegung des Prozesses nach St. Gallen, wie es die NZZ kolportiert, steht offenbar ausser Frage.
Ist absehbar, wie der Fall Vincenz ausgehen wird? In keiner Weise. Die Anklagepunkte sind heftig. Laut NZZ, die Einsicht hatte in die Anklageschrift, lauten sie auf «gewerbsmässigen Betrug, Veruntreuung, Urkundenfälschung und passive Bestechung zum Nachteil der Kreditkartenfirma Aduno und Raiffeisen». Inwieweit die Kläger vor Gericht damit durchkommen, bleibt abzuwarten. Auf der Seite von Vincenz kämpft mit Lorenz Erni ein Strafverteidiger, der für Schweizer Verhältnisse geradezu Kultstatus geniesst und bekannt ist für ausgeklügelte Taktiken bei anspruchsvollen Fällen. Und das ist der Fall Vincenz zweifellos. Es sind komplizierte Transaktionen zu beurteilen, die Staatsanwaltschaft ermittelte über zwei Jahre, bevor sie Anklage erhob. Liegt dann einmal ein Urteil vor Bezirksgericht vor, dürfte dies nicht die letzte Instanz gewesen sein, die den Fall bearbeiten muss. Sprich: Der Fall Vincenz kann sich noch lange hinziehen bis zu einem abschliessenden Urteil.