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Studie zu Stillegungskosten AKW-Rückbau kommt nach neuesten Berechnungen billiger

Eine Studie zeigt, dass die Branche mit tieferen Kosten rechnet als 2016. Das sorgt für Kritik.

    Momentan werden viele Güter teurer – kaum günstiger. Ausgerechnet der Rückbau der Atomkraftwerke und die Entsorgung der nuklearen Abfälle soll nun aber eine Milliarde weniger kosten, als vor fünf Jahren erwartet worden war. Nämlich nur noch 23 statt 24 Milliarden Franken.

    In dieser Summe ist alles enthalten: Stilllegung und Rückbau der AKW, und auch Bau und Verschliessung der Endlager bis in 100 Jahren. Doch auf welcher Basis errechnet Swissnuclear diese Kosten? «Aus Erfahrungswerten, die man aus dem Ausland hat, den Kosten und Fristen, die dort anfallen, und die dann auf die Schweiz umgerechnet werden und die Arbeitsschritte angepasst», sagt Philippe Renault.

    Er ist Geschäftsleiter von Swissnuclear. In die Kostenstudie 2021 fliessen erstmals Erfahrungen aus dem Inland mit ein, vom AKW Mühleberg, das seit zwei Jahren stillsteht. Diese Stilllegung sei bis jetzt weniger teuer als angenommen. Mühleberg «untermauert die Schätzungen, die man bisher hatte und bestätigt gewisse Annahmen, die getätigt wurden».

100 Jahre für Entsorgung von Atommüll

    Dass Stilllegung und Rückbau von AKWs weniger kosten könnten, sei plausibel, sagt Nils Epprecht von der Schweizerischen Energiestiftung, dem Verband der erneuerbaren Energieproduzenten. Weil: «Beim Rückbau hat man erste Erfahrungen aus Deutschland, die man nun auch in Mühleberg nachvollziehen kann.» Ausserdem würden die Betreiberfirmen noch bis zum Ende der Stilllegung existieren und könnten Nachschüsse zuschiessen, wenn es teurer werden würde.

Atombranche: Kostenstudie alle fünf Jahre

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Alle fünf Jahre ermittelt Swissnuclear – das ist die Fachgruppe Kernenergie der Swisselectric, besetzt mit Vertretern schweizerischer Stromverbundunternehmen – zusammen mit Experten aus dem In- und Ausland die Kosten für das Herunterfahren der Atomkraftwerke und den Bau und Betrieb der Endlager für den Atommüll.

Die Gesamtkosten betragen neu 23.08 Milliarden Franken, 4.5 Prozent (teuerungsbereinigt 6.5) Prozent weniger als 2016, als die Schätzung bei 24.2 Milliarden Franken lag.

Epprecht stösst sich aber daran, dass auch von tieferen Kosten für die Endlagerung des Atommülls ausgegangen wird. Das tut Swissnuclear mit dem Verweis auf optimierte Prozesse und technischen Fortschritt.

Epprecht lässt das nicht gelten. «Bei der Entsorgung haben wir einen ganz anderen Zeithorizont. Da schauen wir auf die nächsten 100 Jahre. Dann werden die Betreiberfirmen kaum noch existieren.» Es gehe also darum, dass man schon heute genügend Gelder einspeise. «Denn sonst wird das einfach die Allgemeinheit bezahlen müssen.» Das sei unfair.

Spätere Generation hat den Schaden

Die heutigen Generationen müssten genügend Cash für die Endlagerung auf die Seite tun. Denn: «Spätere Generationen werden auch nichts mehr vom Atomstrom haben, sondern nur noch den Atommüll, den sie dann hüten müssen», sagt er. Gestritten wird unter Experten vor allem um den Risikozuschlag: Geld, das für Unvorhergesehenes angespart wird.

Rückbau in Mühleberg kommt voran

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Arbeiter Anzug vor Generator in Mühleberg.
Legende: Keystone

Bereits seit zwei Jahren steht das AKW im bernischen Mühleberg still. Der Rückbau geht voran. Noch immer befinden sich in einem sogenannten Abklingbecken auf dem AKW-Gelände 418 hochradioaktive Brennstäbe, die ins Zwischenlager nach Würenlingen transportiert werden müssen. Weil bloss sieben Brennstäbe in die zwei Transportbehälter passen, werden dafür mehrere Dutzend Transporte in den Aargau nötig sein, was zwei Jahre dauern wird. In Würenlingen werden die Brennstäbe in grosse, sogenannte Castor-Behälter umgeladen. In diesen werden sie gelagert, bis die Schweiz dereinst ein unterirdisches Endlager für radioaktive Abfälle in Betrieb nehmen wird – was noch Jahrzehnte dauern wird. Insgesamt werden in den nächsten Jahren 120 Tonnen radioaktiver Abfall aus Mühleberg in den Aargau verfrachtet und dort zwischengelagert.

Swissnuclear rechnet mit einem Risikozuschlag von 41 Prozent. Das sei zu wenig, sagt Epprecht. Eine Auftragsstudie seiner Energiestiftung kam 2018 zum Schluss, dass es 200 Prozent brauche: «Das kommt daher, dass noch sehr viele Unsicherheiten darin stecken, die noch gar nicht eingepreist wurden.» Als Beispiel nennt er ein Nein des Stimmvolks zu einem Endlager, über das die Schweiz in Bälde abstimmen muss.

Renault von Swissnuclear gibt zu, dass die Wahrscheinlichkeit von künftigen Ereignissen verschieden bewertet werden könne. Man fühle sich aber wohl mit dem Risikozuschlag von 41 Prozent.

Denn der gewählte Zuschlag wurde «nicht zuletzt auch von der Uni Basel und der ETH geprüft und bestimmt. Wenn die das als belastbar erachten, dann ist das für uns das Mass der Dinge.» Die jüngste Kostenstudie der Atombranche wird nun von verschiedenen Stellen überprüft, so auch vom Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi. Je nachdem, was dabei rauskommt, umso mehr oder weniger müssen die AKW-Betreiber in den nächsten fünf Jahren zur Seite legen – mit direktem Einfluss auf den Atomstrompreis.

Echo der Zeit, 01.10.2021, 18:00 Uhr

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