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Türkische Lira im freien Fall Weshalb Erdogans Wiederwahl wirtschaftliche Unsicherheit auslöst

Die türkische Währung Lira ist auf einem neuen Rekordtief. Die Finanzmärkte sind nervös, weil Erdogan mit seiner Wirtschaftspolitik weitermachen kann und die Preise weiter steigen. Was heisst das für die Menschen in der Türkei?

Worum geht es? Nach der Wiederwahl von Recep Tayyip Erdogan   am Sonntag ist die türkische Lira um 1.2 Prozent auf ein neues Rekordtief von 20.36 Lira pro Dollar gefallen. Und das, nachdem die türkische Währung Lira bereits eine Rekord-Talfahrt hingelegt hatte: Seit Jahresbeginn ist die Lira gegenüber dem Dollar um mehr als sechs Prozent eingesackt. Innerhalb der letzten 10 Jahre hat sie über 90 Prozent an Wert verloren. Zur Veranschaulichung: Die rosarote 200 Lira-Note war vor 10 Jahren noch 130 Dollar wert – heute sind es nur noch knapp 9 Dollar.

Und gleichzeitig herrscht in der Türkei offiziell eine Inflation von rund 45 Prozent. Laut Expertinnen dürfte sie sogar noch höher sein, als offiziell von der Türkei vermeldet. Die Preise steigen rasant.

Was heisst das für die Menschen in der Türkei? Die türkische Bevölkerung wird immer ärmer und verschuldet sich. Vor 10 Jahren hat eine 200er-Lira-Note noch gereicht, um Lebensmittel für eine ganze Familie zu kaufen. Heute muss dafür ein ganzes Bündel 200er-Noten hingelegt werden. Mit dem Geld, das damals für ein Auto gereicht hat, kann heute in der Türkei knapp noch ein Smartphone gekauft werden.

Wegen der hohen Inflation steigen die Preise rasant an, und das Geld in der Türkei ist immer weniger wert. Die Türkinnen und Türken versuchen deshalb, das Geld, das sie haben, schnell auszugeben, bevor es noch mehr an Wert verliert. Und gleichzeitig nehmen sie Schulden auf, weil der Zins tief ist und sie lieber heute als morgen konsumieren.

Erdogans Wirtschaftspolitik – wie weiter? Das Geld wird immer knapper: Das Land importiert viel Energie und Rohstoffe aus dem Ausland, was jetzt immer teurer wird. Zudem hat der Präsident die Löhne der Staatsangestellten erhöht, als Wahlgeschenk. All das muss bezahlt werden. Ausserdem hat Erdogan riesige Summen aufgewendet, um die Lira über Gold- und Währungsverkäufe zu stabilisieren.

Mit einer Inflation von rund 45 Prozent müsste die Türkei eigentlich die Zinsen erhöhen. Unter Erdogan passiert aber das Gegenteil: In der Türkei senkt die Notenbank die Zinsen und treibt damit die Inflation noch weiter an. Zum Vergleich: Die Europäische Zentralbank hat bei einer Inflation von rund 8 Prozent angefangen, die Zinsen zu erhöhen und die Schweizerische Nationalbank bei einer Inflation von etwas mehr als 3 Prozent.

Ein Mann und eine Frau vor einer Wechselstube in Istanbul.
Legende: Nach der Wiederwahl Erdogans fiel die türkische Lira auf ein neues Rekordtief: ein Mann und eine Frau vor einer Wechselstube in Istanbul. REUTERS/Hannah McKay

Wieso erhöht Erdogan die Zinsen nicht, um die steigenden Preise in den Griff zu bekommen? Im März 2024 sind in der Türkei Kommunalwahlen. Experten gehen davon aus, dass Erdogan die «Wirtschaftspolitik des aufgeblähten Wachstums» mindestens bis dahin weiterziehen wird, um keine Wählerstimmen zu verlieren. Es ist eine Verzweiflungstat: Erdogan möchte die Zinsen nicht erhöhen, weil er Angst hat, eine ohnehin schon schwache Wirtschaft weiter auszubremsen. Laut Schätzungen von Ökonomen wird die türkische Wirtschaft dieses Jahr nur noch 2.7 Prozent wachsen, nach 5.6 Prozent im Vorjahr.

Dass die türkische Wirtschaft überhaupt noch wächst, liegt vor allem am Konsum. Und obwohl sie wächst, werden die Menschen immer ärmer. Denn die Realeinkommen sinken wegen der steigenden Preise. Laut Experten gibt es für Erdogan deshalb langfristig keine andere Möglichkeit als eine Zinserhöhung, wenn er nachhaltig die Lira stabilisieren möchte und die Inflation bekämpfen will.

SRF 3, 30.5.23, 7:40 Uhr

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