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Wall Street im Umbruch Gordon Gekko war gestern: Bots kapern das Herz des Kapitalismus

Noch zur Jahrtausendwende herrschte Dichtestress an der New Yorker Börse. Heute verliert der Faktor Mensch an Bedeutung.

Die New Yorker Börse kennen die meisten Menschen nur von TV-Schaltungen zu Wirtschaftskorrespondenten. Im Hintergrund wuseln Makler über das Parkett, vor Monitoren mit endlosen Zahlenreihen stehen Männer in Nadelstreifenanzügen und verschieben gewaltige Geldbeträge, als würden sie Monopoly spielen.

So zumindest das Klischee, das zusätzlich von Filmen wie «The Wolf of Wall Street» befeuert wird, in dem Leonardo DiCaprio einen von Gier und Ehrgeiz zerfressenen Aktienhändler mimt.

Michael Douglas als Gordon Gekko im Film «Wall Street»
Legende: Auch der berüchtigte Börsenspekulant Gordon Gekko, verkörpert von Michael Douglas, hinterliess in «Wall Street» ein wenig schmeichelhaftes Bild der Vorgänge an der New Yorker Börse. Imago/Ronald Grant Archive / Mary Evans

Doch was passiert wirklich im Herzen der weltweiten Finanzindustrie? Einer, der es wissen muss, ist Jens Korte: Seit einem Vierteljahrhundert berichtet der gelernte Industriekaufmann und Volkswirt von der New York Stock Exchange. In einfachen Worten erklärt er dem Publikum die nicht ganz so einfachen Vorgänge an der NYSE.

Jens Korte vor den Toren der New Yorker Börse
Legende: Jens Korte berichtet für SRF von der Wall Street in New York. Seit 1999 arbeitet der freie Börsenjournalist dort für verschiedene Medien. SRF

Ruhig wird es kaum einmal an der Wall Street. In diesen Tagen dominiert der Leitzinsentscheid der US-Zentralbank FED die Schlagzeilen. Dieser kann traditionell zu seismografischen Erschütterungen an der Börse führen.

Irische und italienische Händlerdynastien

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Menschenansammlung vor der New Yorker Börse während des Börsencrashes von 1929.
Legende: Menschenansammlung vor der New Yorker Börse während des Börsencrashes von 1929. Keystone/AP (Archiv)

Viele Händler an der Wall Street tragen irische und italienische Nachnamen. Und das ist kein Zufall, wie Jens Korte erläutert: Denn als die New Yorker Börse um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an die Wall Street zog, waren irische und italienische Einwanderer billige Arbeitskräfte. «Sie haben dann schnell gemerkt, dass sich damit Geld verdienen lässt. Heute sieht man kleine Familienclans, die noch immer am gleichen Ort sind.»

Acht reguläre Notenbanksitzungen gibt es jährlich. Das Ergebnis der finanzpolitischen Weichenstellung trifft verlässlich um 14 Uhr New Yorker Zeit ein.

TV-Sender berichtet über FED-Entscheid vom 1. Mai. Händler an Wall Street schaut zu.
Legende: An der Wall Street seien die Leitzinsentscheide der FED zu einem eigentlichen Event geworden, berichtet Korte: «Kurz vorher geht ein Raunen über das Parkett, die Händler sagen ‹Pssst…› und alle blicken auf die Bildschirme, auf denen die Börsensendungen der TV-Stationen laufen.» Keystone/AP/SETH WENIG

Nervöse Anspannung, die sich wahlweise in allgemeiner Erleichterung, lässigem Nicken oder kollektivem Schrecken auflöst: Das immer gleiche Schauspiel biete durchaus witzige Momente, erzählt der Korrespondent. «Aber nur, wenn etwas wirklich Überraschendes passiert, rennt der ein oder andere mal von einem Handelsstand zum nächsten. Dann herrscht aber schnell wieder ‹Business as usual›.»

Vorbei mit der Trader-Romantik

Dieser Normalbetrieb hat sich jedoch seit der Jahrtausendwende deutlich verändert – auch beim Dresscode. Die Banker von J.P. Morgan oder Goldman Sachs dürfen etwa seit einigen Jahren auch mit Poloshirt und kurzer Hose zur Arbeit kommen.

Junge Trader an der New Yorker Börse
Legende: Krawatte ist nicht mehr Pflicht. Und auch die Uniform der Westküste – Sneaker und Kapuzenpulli – hat an der Wall Street Einzug gehalten. Im Kampf um junge Talente soll der neue Dresscode helfen, mit der Lässigkeit des Silicon Valley gleichzuziehen. Getty Images/Michael M Santiago

Optisch fällt auch etwas anderes auf: Mit dem Dichtestress früherer Zeiten ist es an der New Yorker Börse vorbei. Als Korte Ende der 90er-Jahre anfing, von der Wall Street berichten, tummelten sich dort noch über 7000 Händlerinnen und Händler.

«Wir Journalisten waren damals nicht besonders gerne gesehen, weil wir nur im Weg herumgestanden sind. Mittlerweile gibt es weit weniger Händler. Das ganze System hat sich stark verändert.» Allem voran hat die Digitalisierung dazu geführt, dass es heute weniger marktschreierisch zugeht.

Allerdings: Im «Hochfrequenz-Handel» sei es wichtig, möglichst nahe am Zentralserver zu sein, damit Geschäfte in Millisekunden abgeschlossen werden können, erläutert Korte. «Mit komplexen Algorithmen programmierte Bots treffen selbstständig Kauf- und Verkaufsentscheidungen und versuchen, von nur ganz kurz bestehenden Preisunterschieden zu profitieren.» Hier kann jeder zusätzliche Meter Glasfaser Geld kosten.

A.k.a. Brands CEO Jill Ramsey eröffnet den Börsentag im September 2021.
Legende: Die Wall Street sei heute auch viel Show, sagt Korte: So etwa, wenn die Börse jeden Tag symbolträchtig mit Glockengeläut eröffnet und geschlossen werde. Keystone/AP/Richard Drew

Dass an der Wall Street aber trotz Homeoffice und Digitalisierung immer noch Betriebsamkeit herrscht, hat laut Korte viel mit Tradition und Prestige zu tun. Die Geldinstitute wollen im globalen Finanztempel Präsenz markieren. Und: «Wenn es Turbulenzen und Börsengänge an den Märkten gibt, kann es durchaus Sinn machen, jemanden vor Ort zu haben.»

Trader beim Börsencrash 2008.
Legende: Noch immer finden sich Veteranen unter den Börsianern. In Krisenzeiten – an denen es seit der Jahrtausendwende nicht mangelte – vermitteln sie Korte auch eine gewisse Zuversicht. Denn die Händler haben sich über die Jahre ein dickes Nervenkostüm zugelegt. Bild: Trader beim Börsencrash 2008. Keystone/AP/RICHARD DREW

Letztlich spiele der Faktor Mensch an der Wall Street zwar immer noch eine gewisse Rolle, schliesst Korte. «Aber der reine Handel läuft mittlerweile wohl zu 90 Prozent über Bots. Der physisch anwesende Händler ist nicht mehr so wichtig.»

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SRF 4 News, 02.05.2024, 6:25 Uhr ; 

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