Worum geht es? Trotz aufsehenerregender Fälle wie zuletzt jenem des Nestlé-Chefs Laurent Freixe, der seinen Posten aufgrund einer Beziehung am Arbeitsplatz räumen musste: In der Schweiz ist Whistleblowing im Vergleich zu anderen Ländern in den Hintergrund gerückt. Das zeigt eine Studie der Fachhochschule Graubünden (FHGR) und des Unternehmens EQS vom 30. September 2025. Gleichzeitig sind die finanziellen Schäden für Unternehmen in der Schweiz aber auffallend hoch – höher als in den anderen Ländern. Rund 20 Prozent der Fälle verursachen umgerechnet mehr als 95'000 Franken Schaden.
Was unternehmen Schweizer Firmen konkret? In der Schweiz verfügen laut dem Bericht drei Viertel der Unternehmen über Melde- oder Beschwerdestellen. Über solche Stellen sind in zwei Dritteln der Unternehmen Meldungen eingegangen. Sie betreffen meist Themen wie Diversität und Respekt am Arbeitsplatz, Menschenrechte, Arbeitssicherheit und Gesundheits- sowie Datenschutz. Knapp die Hälfte der Meldungen und Beschwerden (52 Prozent) haben Unternehmen als relevant eingestuft. In sämtlichen Punkten liegt die Schweiz tiefer als die Vergleichsländer. Insgesamt geben knapp 40 Prozent der Schweizer Firmen an, von Missständen betroffen gewesen zu sein.
Warum ist die Schweiz hinterher? Studienautor Christian Hauser von der Fachhochschule Graubünden vermutet, dass Fälle oft zu spät aufgedeckt werden und dann entsprechende Konsequenzen haben. «Eine Firma, die einen guten Whistleblower-Schutz bietet, kann dadurch profitieren, dass Meldungen frühzeitig auf Missstände hinweisen und dadurch finanzielle Schäden, aber auch reputationale Schäden verhindert oder zumindest verringert werden können.» Gleichzeitig gibt es in der Schweiz keine explizite Regelung für den Umgang mit Whistleblowing. Transparency International Schweiz kritisiert diese Rechtsunsicherheit seit Jahren. Gerichte müssten jeweils abwägen, ob die Treuepflicht des Arbeitnehmers oder die Interessen Dritter beziehungsweise der Öffentlichkeit höher zu gewichten seien.
Wie wird das international wahrgenommen? Die Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat zuletzt im Juni Kritik an der Schweiz geäussert. Dort heisst es, alle seit 2018 unternommenen Versuche, Rechtsvorschriften zum Informantenschutz im Privatsektor einzuführen oder das Höchstmass der gesetzlich vorgesehenen Geldstrafe für wegen Auslandsbestechung verurteilte juristische Personen zu erhöhen, seien gescheitert. Und: «Gegenwärtig liegen keine Gesetzesinitiativen vor, die diese Probleme angehen.»
Was muss passieren? Laut Studien-Co-Autor Christian Hauser ist eine Änderung der Gesetzeslage nicht das Dringendste. Firmen sollten nicht nur aus gesetzlicher Pflicht handeln. «Wenn die Firmen das wirklich machen, weil sie davon überzeugt sind, dass sie davon profitieren, dann werden sie auch bessere Ergebnisse erhalten», sagt er. «Von daher ist es im eigenen Interesse der Firmen, solche Meldestellen einzuführen.»