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Englisches Pfund
Legende: Das Pfund hat nach dem Brexit-Votum an Wert verloren. Wie es mit der britischen Wirtschaft weitergeht, ist offen. Keystone

Wirtschaft Bank of England: Versuchen, das Schlimmste zu verhindern

Wie geht es mit der britischen Wirtschaft nach dem Brexit weiter? Die Bank of England gab heute ihre neuen Prognosen bekannt und zeigte das Abwehrdispositiv auf, um dem sich abzeichnenden Schock zu begegnen.

Echte Zahlen zur britischen Wirtschaftsentwicklung seit dem Brexit-Referendum vor sechs Wochen gibt es noch keine. Aber die gesammelten Erwartungen von Geschäftsleuten deuten allesamt auf eine Wirtschaft im Schockzustand: Dienstleistungen, Industrie, Bau und Einzelhandel sind allesamt negativ.

Der Gouverneur der Bank von England, Mark Carney, war heute deutlich : Der Entscheid, die EU zu verlassen, komme einem Regimewechsel gleich. Das Vereinigte Königreich werde den Austausch von Gütern, Diensten, Menschen und Kapital neu definieren müssen.

Wachstumserwartung gesenkt

Carney wischte die Euphorie der Brexit-Befürworter und ihrer medialen Gefolgsleute vom Tisch, wonach es der britischen Wirtschaft glänzend gehe. Die zentrale Prognose geht für das laufende Jahr von einer Abschwächung aus, die aber kaum in einer Rezession münde. Für das nächste Jahr wurden die Wachstumserwartungen um zwei Drittel zurückgestutzt: von 2,3 auf 0,8 Prozent. Das sei die grösste Korrektur seit fast zwanzig Jahren, sagt er.

Der geldpolitische Artillerie-Park der britischen Zentralbank ist allerdings schon mehrheitlich in Gefechtsstellung. Seit siebeneinhalb Jahren dümpelt der Leitzinssatz auf einem halben Prozent, seit vier Jahren zirkulieren 375 Milliarden Pfund zusätzlich durchs System, geschaffen durch die Notenpresse. Nun wurde der Leitzins erneut halbiert, auf ein Viertelprozent.

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Die Ausweitung der Geldmenge wird vorangetrieben. 70 Milliarden für Zukäufe von Schuldverschreibungen. 100 Milliarden an günstigen Krediten für die Banken, damit diese die Zinssenkungen auch an ihre Kunden weitergeben. Kaum überraschend vollführte die Londoner Börse Purzelbäume, die Preise für britische Obligationen erreichten neue Höchststände. Jene, die schon Vermögen haben, profitieren – Sparer und Rentner bezahlen die Zeche.

Mehr Arbeitsplätze, aber nicht mehr Einkommen

Ob die Wirtschaft, das eigentliche Zielobjekt dieser Übung, wirklich stimuliert wird, erscheint höchst zweifelhaft. Martin Wolf, der Chef-Kommentator der «Financial Times», erklärte das der BBC so: Grossbritanniens Produktivität hinke der Konkurrenz seit Jahrzehnten hinterher. Steigende Beschäftigung, ja, aber kaum reale Einkommenssteigerungen.

Strukturelle Schwächen älteren Datums rächen sich jetzt. Investoren halten sich zurück, weil sie keine Ahnung haben, wie die künftigen Handelsbeziehungen gestaltet werden. Die Londoner City rechnet mit einem eingeschränkten Zugang zum europäischen Markt, weshalb der Preis für Büroraum in London sinkt.

Infografik zum Brexit

«Grosser struktureller Schock»

Einzelhändler berichten schon von Einbrüchen. Neuhypotheken an Private sind rückläufig, nicht zuletzt, weil Häuserpreise im Grossraum London unerschwinglich geworden sind. Diese von pro-Europäern skizzierten Konsequenzen des Brexit lassen sich nicht mit billigem Geld vermeiden. Das räumte selbst der Notenbankchef Mark Carney ein. Er könne die Folgen eines grossen, strukturellen Schocks nicht ausgleichen. Man beachte die Wortwahl: ein grosser, struktureller Schock.

Der Kommentator Wolf unterstrich die gegenwärtige Unsicherheit als den zentralen, toxischen Faktor: Niemand wisse, was Brexit wirklich für die britische Wirtschaft bedeute. Es ist zu befürchten, dass das schwere Geschütz der Bank of England nur Schrot verschiesst.

May will eine aktive Industriepolitik

Künstlich verbilligte Kapitalkosten führen auf die Dauer zur falschen Zuweisung von Ressourcen, der erhoffte Stimulus wird wohl verpuffen. Es sei denn, der neue britische Finanzminister werfe das Steuer herum und beginne, staatliche Investionsprojekte und Steuersenkungen mit zusätzlichen Schulden zu finanzieren. Also fiskalpolitische Munition statt geldpolitische Erbsen. Die neue Premierministerin, Theresa May, hat sich bereits von den ambitiösen Sparzielen ihres Vorgängers verabschiedet und eine aktive Industriepolitik versprochen. Der Staat ist für sie mehr als ein Nummerngirl, eher schon ein Zirkusdirektor.

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