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Ein Raum voller Computer und Schüler
Legende: An der «école 42» lernen Jugendliche selbstständig ohne Lehrer und setzen sich Ziele selber. Charles Liebherr / SRF

Wirtschaft Das Informatikernest des neuen Orange-Besitzers

Der neue Orange-Besitzer Xavier Niel hat sich der digitalen Wirtschaft verschrieben und finanziert auch eine eigene Informatikschule in Paris. Sie ist gratis und steht allen jungen Talenten offen – selbst wenn diese in ihrer bisherigen Schullaufbahn alles andere als brilliert haben.

Die Schule steht am Stadtrand von Paris. Wobei es unklar ist, ob das überhaupt eine Schule ist. «An dieser Schule unterrichten wir eigentlich gar nicht. Unser Ziel ist es nicht, Wissen zu vermitteln. Alles Wissen ist ja frei verfügbar», sagt Nicolas Sadirac und grüsst mit einem warmen Händedruck. Der Direktor ist anfang Vierzig, trägt Jeans, Wollpullover und einen langen Bart.

Schlafen am Boden und keine Lehrer

Er führt durchs Haus, vorbei an Studierenden, die am Boden schlafen, weil sie wahrscheinlich die ganze Nacht programmiert haben. Er bleibt stehen und verwirrt den Besucher zum zweiten Mal. «Wir haben keine Lehrer hier.» Die Ecole 42 ist also eine Schule ohne Lehrer. Es gibt noch mehr, das einen zwingt, das Bild traditioneller Bildungsstätten über Bord zu werfen.

Es gibt für die Studierenden keine vorgeschriebenen Präsenzzeiten, keinen Stundenplan, keine Prüfungen, keine Zeitvorgaben, wie lange die Ausbildung dauern soll. Offen ist das Haus 24 Stunden am Tag, an sieben Tagen der Woche. Die Studierenden unterrichten sich selbst, in Gruppen, die sich immer wieder neu formieren. Sogar die Prüfungen nehmen sie sich untereinander ab.

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Besser in der Gruppe

«Sie müssen sich das wie ein Hindernis-Parcours vorstellen. Die Jungen müssen Hindernisse überwinden, die wir ihnen in den Weg stellen. Sie suchen sich Verbündete, um die gestellten Probleme zu lösen. Sie lernen voneinander. Ob ein Problem gelöst wurde, entscheiden sie gemeinsam.» Das ist Pädagogik im Internet-Zeitalter. Und dahinter steht die Überzeugung, dass ein guter Programmierer nur im Kollektiv funktionieren kann.

Wir stehen inzwischen in einem Grossen Saal. Tausend Computer stehen auf den Tischen. Hier wird programmiert, diskutiert, Programmcodes umgeschrieben, verbessert, analysiert und noch einmal neu geschrieben – manchmal alleine, viel häufiger aber in der Gruppe.

Harte Selektion

Eine Herde hoch motivierter Menschen seien sie hier, die sich gegenseitig antreiben, erzählt Gabrielle. «In Wellen machen wir Fortschritte, alle gemeinsam. Wir stehen nicht in Konkurrenz zueinander. Jeder unterstützt jeden.» Gabrielle ist seit Herbst hier. Sie hat eine harte Selektion durchlaufen im Sommer. Erste Etappe: Online Aufgaben lösen, welche ihre Fähigkeit prüften, logisch zu denken. 20‘000 Schüler haben das geschafft. Die 3000 Besten wurden daraufhin nach Paris eingeladen. Es folgte nochmals ein vierwöchiger Hindernis-Parcours rund um die Uhr. 1000 durften schliesslich zum ersten Semester antraben.

Ecole 42 als zweite Chance

Auch Arno gehört dazu. Er hat in Lausanne mit 16 die Schule abgebrochen, weil sie für ihn keinen Sinn mehr machte. Die Ecole 42 sei für ihn eine zweite Chance. «In der Schweiz hätte ich keine Ausbildung als Programmierer beginnen können ohne Abschluss. Darum bin ich hier.»

Auch Mattia aus Neuchâtel ist in der Schule gescheitert. Er langweilte sich, weil die Schule nicht Rücksicht nehmen konnte auf sein Lerntempo. «Hier kann ich rasch vorankommen, wenn ich gut drauf bin, langsamer machen, wenn ich anstehe. Ich kann dann eher anderen weiterhelfen. Jeder kann hier nach seinem Rhytmus lernen, das ist genial. So wird nie jemand abgehängt, und jene die schneller lernen, beginnen sich nicht zu langweilen.»

Selbstständiges Lernen

Genau das will Nicolas Sadirac erreichen. Jugendliche motivieren, eigenständig programmieren zu lernen, sich selber Ziele zu setzen. Wir machen aus den Studierenden Lernmaschinen. Sie erschliessen sich die Welt des Programmierens selbständig. Weil sie das schaffen, können sie alles lernen – ganz ohne Lehrer.

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