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Wirtschaft Experte: Selbstfahrende Autos überforden den Menschen

Automatisierte Fahrzeuge sind die Zukunft. Sie sollen die Sicherheit erhöhen, denn der Mensch ist auf den Strassen das grösste Risiko. Allerdings macht nicht jede Stufe der technischen Entwicklung den Verkehr sicherer, wie Stefan Siegrist von der Beratungsstelle für Unfallverhütung festhält.

Selbstfahrende Autos sind längst keine Utopie mehr. Sie werden bereits getestet. Ausgereifte Varianten können den Strassenverkehr sicherer, sauberer und schneller machen, wie Stefan Siegrist, stellvertretender Direktor der Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU, im SRF-«Tagesgespräch» mit Marc Lehmann sagt. Doch der Weg dahin ist noch weit.

Die BFU hat eine Übersicht über die Stufen der Automatisierung erstellt:

  • Stufe Null: Der Fahrer fährt. Kein eingreifendes Fahrzeugsystem ist aktiv.
  • Stufe Eins: Assistiert. Der Fahrer steuert das Auto und übernimmt die Orientierung zum Ziel hin (Längsführung) oder bleibt in der Spur (Querführung). Das System übernimmt die jeweils andere Funktion.
  • Stufe Zwei: Teilautomatisiert. Der Fahrer muss das System dauerhaft überwachen. Das System übernimmt Längs- und Querführung in einem spezifischen Anwendungsfall.
  • Stufe Drei: Hochautomatisiert. Der Fahrer muss das System nicht mehr dauerhaft überwachen. Er muss aber potenziell in der Lage sein, die Führung zu übernehmen. Das System übernimmt Längs- und Querführung in einem spezifischen Anwendungsfall. Es erkennt Systemgrenzen und fordert den Fahrer zur Übernahme mit ausreichender Zeitreserve auf.
  • Stufe Vier: Vollautomatisiert: Im spezifischen Anwendungsfall ist kein Fahrer mehr erforderlich. Das System kann im spezifischen Anwendungsfall alle Situationen automatisch bewältigen.
  • Stufe Fünf: Von Start bis Ziel ist kein Fahrer erforderlich. Das System übernimmt die Fahraufgabe vollumfänglich bei allen Strassentypen, Geschwindigkeitsbereichen und Umweltbedingungen.

Die Technik der heutigen Autos ist auf dem Stand der Stufen Null und Eins. Siegrist sieht grosses Potenzial in Systemen, die den Fahrer unterstützen. «Auf Stufe Eins mit Fahrassistenzsystemen könnte schon die Hälfte aller Unfälle vermieden werden», sagt er. Diese elektronischen Systeme zeigen beispielsweise im Auto erlaubte Höchstgeschwindigkeit an und helfen Autos, schneller und stärker zu bremsen und eine Gefahr zu erkennen.

«Systeme massiv überschätzt»

«Teilautonomes Fahren ist im Moment noch ein Komfortsystem, noch kein Sicherheitssytem», sagt Siegrist. Ein solches Fahrzeug kann beispielsweise den Abstand auf der Autobahn zum vorderen Auto konstant halten und sich selber in der Fahrspur. «Allerdings wird das System massiv überschätzt», betont der stellvertretende BFU-Direktor. Wie kürzlich mit dem TCS zusammen durchgeführte Tests gezeigt hätten, funktionierten die Systeme nur auf der Autobahn und nur bei besten Bedingungen. «Wenn die Markierungen wegen Baustellen orange sind, dann können manche Autos sie schon nicht mehr wahrnehmen, und wenn Schnee liegt erst recht nicht.»

Freude an der ausgefeilten Technik teilautonomer Autos haben laut Sigrist vor allem Männer. «Frauen lassen sich nicht gerne von technischen Assistenten reinreden», so Siegrist.

Für Menschen ungeeignete Systeme

Die Stufen Zwei und Drei der Automation von Autos berge zur Zeit noch grosse Gefahren, wie Siegrist festhält: «Man hat festgestellt, dass Menschen ein teil- oder hochautomatisiertes System nach ungefähr fünf Minuten nicht mehr überwachen. Sie verrichten Nebentätigkeiten wie Telefonieren oder Zeitung lesen. Das heisst, wenn das System eine Warnung abgibt und der Mensch die Führung über das Fahrzeug übernehmen müsste, dauert es fünf bis zehn Sekunden, bis er parat ist.» Das würde zu mehr Unfällen führen. «Manche Fahrzeughersteller möchten deshalb diese zwei Stufen überspringen», sagt Siegrist.

Man hat festgestellt, dass Menschen ein teil- oder hochautomatisiertes System nach ungefähr fünf Minuten nicht mehr überwachen.

Bis jedoch vollautomatisierte und vollkommen fahrerlose Autos auf den Strassen unterwegs sind, wird es noch eine Weile dauern. Bis dahin braucht es weitere Anpassungen, zum Beispiel ein sehr leistungsfähiges Mobilfunknetz, damit die Autos untereinander kommunizieren können. «Auch die Zulassungsbehörden müssten anders an ihre Aufgaben herangehen», meint Siegrist. Sie sollten nicht aus Freude am technischen Fortschritt alles zulassen.

Weiter müsse die Verantwortung neu geregelt werden. Im Moment ist der Fahrzeuglenker jederzeit verantwortlich, unabhängig davon, wie viel das Auto selbst macht. Je mehr Aufgaben das Fahrzeug übernimmt, desto mehr sollte auch der Produzent in der Verantwortung stehen, wie Siegrist sagt. Gesetze dafür gibt es noch nicht.

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