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Yves Rossier im Interview «Russland war nie ein einfaches Land, aber trotzdem attraktiv»

Westliche Unternehmen in Russland werden enteignet, viele Firmen haben sich aus dem russischen Markt zurückgezogen, einige sind geblieben. Yves Rossier, bis 2020 Schweizer Botschafter in Moskau, erklärt im Interview, was den russischen Markt so attraktiv machte für westliche Unternehmen, welche Risiken Geschäfte in Russland bergen, und weshalb die Zukunft für Russland düster aussieht.

Yves Rossier

ehemaliger Schweizer Botschafter der Schweiz in Moskau

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Yves Rossier amtete von 2012 bis 2016 als Staatssekretär des Aussendepartements, danach bis Ende 2020 als Schweizer Botschafter in Moskau.

SRF News: Weshalb war Russland attraktiv für westliche Unternehmen?

Yves Rossier: Russland hat immerhin 145 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner. Sehr gut ausgebildete Leute und keine Gewerkschaften, die diesen Namen verdienen. Die Löhne waren nicht sehr hoch. Deshalb war es natürlich sehr profitabel, in Russland zu investieren und zu arbeiten. Russland war nie ein einfaches Land, aber es hat sich gelohnt. Es gab darum auch seit dem Ende der Sowjetunion sehr viele gegenseitige Investitionen. Die russische Wirtschaft wurde stark in die Globalisierung integriert, in der Wertschöpfungskette.

Und seit dem Krieg?

Seit dem Krieg ist man natürlich dran, alle diese Bindungen abzuschneiden. Die russische Wirtschaft schneidet sich ab von all diesen gegenseitigen Investitionen. Ich glaube, das Problem war, dass wir eine ökonomische Konvergenz und eine politische Divergenz hatten. Russland hat sich ökonomisch Europa genähert, aber politisch hat es sich immer etwas weiter wegbewegt. Und an einem gewissen Punkt ging es nicht mehr, und dort befinden wir uns jetzt.

Das Problem war, dass wir eine ökonomische Konvergenz und eine politische Divergenz hatten.

Was sind zurzeit die grössten Risiken für westliche Unternehmen in Russland?

Ein grosses Risiko für westliche Unternehmen ist vor allem das Image. Deshalb versuchen sie, sich aus dem russischen Markt zurückzuziehen. Das ist nicht einfach, weil sie dort viel investiert haben. Sie haben dort viele Leute, die für sie arbeiten. Was viele machen, ist, sie verkaufen das Russlandgeschäft für einen kleinen Preis, aber mit einem Rückkaufsrecht von fünf, sechs oder sieben Jahren.

Wie diese Unternehmen in der Zwischenzeit funktionieren werden, das ist die grosse Frage. Die Stadt Moskau hat zum Beispiel das Nissan-Renault-Werk gekauft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Stadt Moskau in der Lage ist, Autos zu fabrizieren. Nein, diese Unternehmen ziehen sich zurück für eine gewisse Zeit und hoffen, dass sie in zehn Jahren zurückkommen können und man sich irgendwie wieder in einer normalen Situation befindet.

Westliche Unternehmen ziehen sich aus Imagegründen aus Russland zurück.

Kam die Invasion für Sie aus dem Nichts?

Im Nachhinein findet man sehr gute Erklärungen. Aber ich war erstaunt, weil ich der Ansicht war, es ist nicht machbar, ein Land wie die Ukraine zu besetzen und zu kontrollieren. Vor allem ein Land, das nicht Teil Russlands werden will. Und man sieht es ja, der Krieg dauert jetzt länger als ein Jahr, es sind sehr, sehr viele Leute gestorben auf beiden Seiten. Also dieser Krieg ist ein Albtraum für alle Beteiligten und für die Leute, die tagtäglich sterben. Und ich fürchte, es wird noch eine Weile dauern

Sie kennen das Land sehr gut, was löst der Krieg bei Ihnen aus?

Es macht mich traurig. Für die Ukraine und für Russland. Und eigentlich mehr für Russland, denn ich glaube, nach diesem Krieg wird die Ukraine wieder auferstehen, mit der Unterstützung des Westens. Meine Sorge ist, dass ich sehe, wie Russland einfach wegrutscht, dass man alle Brücken abgebrochen hat. Und wohin kann Russland wegrutschen? Es gibt nichts. Deshalb sehe ich Russland in der Finsternis, das Russland, das ich mag und das ich liebe, und die Leute, die ich doch kenne und die ich besonders schätze. Und das macht mich sehr, sehr traurig.

Das Gespräch führte Camilla Herrmann.

10vor10, 19.7.2023, 21:50 Uhr ; 

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