Inwiefern hat die Schweiz von der Zuwanderung profitiert? In den letzten gut 20 Jahren ist die Wirtschaft stark gewachsen. Absolut (plus 48.9%), aber auch pro Kopf (23.3%). Allerdings ist das eine gesamtwirtschaftliche Sichtweise, aufgrund von Durchschnittswerten. Es haben nicht alle Menschen gleichermassen profitiert: Wer Immobilien besitzt, gehört zu den Profiteuren. Wer dagegen eine Wohnung sucht, hat Mühe. Auch für Leute, die zur Arbeit pendeln, ist es oft mühsam. Das starke Bevölkerungswachstum hat zu Knappheitsphänomenen geführt.
Was sagen Kritikerinnen und Kritiker? Sie taxieren das Wachstum der vergangenen Jahre als zunehmend in die Breite gehend. Vereinfacht gesagt: Wenn immer mehr Leute kommen, brauche es immer mehr Wohnungen, Spitäler, Strassen. Das Wachstum erhalte sich sozusagen selber.
Was ist an der Kritik dran? Sie zielt auf die Frage ab, ob lediglich mehr gearbeitet wird oder auch besser. Besser in dem Sinne, dass Mensch und Wirtschaft etwas davon haben. Es geht um die sogenannte Arbeitsproduktivität und die damit verbundenen Wohlstandsgewinne, wie es im ökonomischen Jargon heisst. Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen in einer komplexen Zerlegung des Wirtschaftswachstums pro Kopf verschiedene Tendenzen, die in unterschiedliche Richtungen gehen: Einerseits leben in der Schweiz mehr Menschen im Erwerbsalter, die tatsächlich erwerbstätig sind. Gleichzeitig arbeiten diese Leute durchschnittlich weniger Stunden und ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist rückläufig. Unter dem Strich ist die Arbeitsproduktivität innert 20 Jahren gleichwohl um gut 20 Prozent gestiegen. Wie stark sie gestiegen wäre ohne Zuwanderung, bleibt offen. Wir arbeiten also tatsächlich besser, nicht nur mehr. Dafür spricht auch der Trend zur Teilzeitarbeit: Statt mehr Lohn wählen viele Leute mehr Freizeit. Auch das ist eine Form von Wohlstandsgewinn.
Was wäre, wenn die Zuwanderung stark zurückginge? Wir hätten weniger Dichtestress, aber einen Haufen anderer Probleme: Die Fachkräfte würden fehlen – nicht nur für hoch bezahlte Top-Jobs, sondern auch in Spitälern und Pflegeheimen. Wegen der Alterung der Gesellschaft wäre die Lücke kaum zu füllen. Ausserdem hätte der Staat weniger Steuereinnahmen und könnte weniger Geld umverteilen für Renten, Sozialleistungen oder Massnahmen für den Klimaschutz.
Könnte man das nicht auffangen, wenn die Ansässigen mehr arbeiteten? Im internationalen Vergleich wird in der Schweiz bereits viel gearbeitet. Die Erwerbsquote ist mit fast 85 Prozent hoch. Vor allem dank der Frauen, die in den letzten Jahren zunehmend erwerbstätig wurden. Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Männer, die ihr Pensum reduzieren. Nicht zuletzt, weil Paare sich Erwerbsarbeit und Familienarbeit öfter aufteilen. Ebenfalls denkbar wäre, dass wir länger arbeiteten. Allerdings hat eine Erhöhung des Rentenalters derzeit wenig Chancen. Schliesslich haben sich die Mentalitäten geändert: Viele Menschen schätzen den Wohlstandsgewinn Freizeit. Insbesondere jüngere Leute gewichten Arbeit und Freizeit anders als frühere Generationen. Um all das zu ändern, bräuchte es massive Eingriffe in die Freiheit der einzelnen. Ob das für die Schweizer Bevölkerung eine valable Alternative wäre, scheint fraglich.