Mehr als zwei Stunden äusserten sich die Parteien zum Fall des jungen Straftäters, der unter dem Namen «Carlos» bekannt geworden ist. SVP und BDP hatten die Einsetzung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK) gefordert. Diese sei nötig «für die lücken- und schonungslose Durchleuchtung der Jugendstaatsanwaltschaft», so die SVP.
Doch die Mehrheit des Parlaments folgte den Argumenten nicht. Zahlreiche Redner verteidigten das Jugenstrafrecht im Kanton Zürich. Mit Kosten-Nutzen-Analysen lasse sich dort nicht arbeiten. Schliesslich lehnte der Rat eine PUK mit 114 zu 52 Stimmen ab. Auch der Bericht der Justizkommission wurde vom Kantonsrat abgesegnet.
Diese deutliche Ablehnung durch das Parlament findet Kay Schubert, SRF-Korrespondent in Zürich, erstaunlich. «Die Bürgerlichen kritisierten zwar die zwei Verantwortlichen, den Justizdirektor Martin Graf und den Oberjugendanwalt Marcel Riesen. Und trotzdem verzichtet der Rat darauf, die beiden Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.» Der Rat vertraue folglich darauf, dass die beiden die versprochenen Verbesserungen an die Hand nähmen, so Schubert.
Selbstkritik des Justizdirektors
Der zuständige Regierungsrat Martin Graf (Grüne) erklärte während der Debatte, er habe mit seinen Stellungnahmen zu den kursierenden Falschinformationen wohl auch dazu beigetragen, Spekulationen zu schüren. Es sei der Eindruck entstanden, der Fall Carlos werde vom Justizdirektor persönlich geführt und die operativen Entscheide von diesem gefällt. «Dem ist natürlich nicht so.»
Graf betonte erneut, dass es sich beim Fall Carlos um einen «aussergewöhnlichen Einzelfall» gehandelt habe. Die Anordnung des Sondersettings sei im Rahmen des gesetzlich Erlaubten erfolgt.Die Kosten seien einfach zu hoch gewesen, räumte Graf ein und betonte gleichzeitig, dass die Massnahmen bei Carlos «über ein Jahr lang Stabilität und Verlässlichkeit» bewirkt hätten. Graf versicherte, dass die Empfehlungen der Finanzkommission umgesetzt würden und man in Zukunft transparenter agiere.
Der Fall «Carlos»
- «Eine Ohrfeige für die Zürcher Justizdirektion»
- Bundesgericht: «Carlos» muss freigelassen werden
- «Carlos» protestiert mit Hungerstreik gegen seine Verlegung
- Zürcher Jugendanwalt Hansueli Gürber soll sofort zurücktreten
- Sondersetting war teuer, aber gerechtfertigt
- «Sondersettings sind in einzelnen Situationen weiterhin sinnvoll»
Bei Kosten genauer hinschauen
Letzten November hatte die Justizkommission des Kantonsrats in ihrem Bericht zum Fall geschrieben, die Anordnung des Sondersettings für «Carlos» sei korrekt abgelaufen. Bei den Kosten hätte man ihrer Ansicht nach aber genauer hinschauen müssen.
Eine ihrer Empfehlungen ist deshalb, dass es künftig bei Spezialbehandlungen eine Abrechnung nach Aufwand (und mit einem Kostendach) statt mit Kostenpauschalen geben soll. Auch seien die Anforderungen, die private Setting-Anbieter erfüllen müssen, klarer festzulegen und regelmässig zu überprüfen.
Die CVP hat letzte Woche angekündigt, sie werde die Rückweisung des Berichts und die Beantwortung von zusätzlichen Fragen verlangen. Die Justizkommission habe dem Kantonsrat den Zusatzbericht bis am 30. September vorzulegen. Er müsse im Detail aufzeigen, wer was wann entschieden, getan oder gewusst hatte.