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Gallizismen im Dialekt Die «Welschsucht» des Schweizerdeutschen

Büro, Menu, Cordon Bleu, Jupe, flanieren – französische Lehnwörter, wohin man schaut! Von diesen sogenannten Gallizismen besitzt die deutsche Sprache mehr als doppelt so viele wie Anglizismen. Aber kaum jemand regt sich über sie auf. Warum? Und wie kamen französischen Wörter besonders zahlreich auch ins Schweizerdeutsche?

Französisch war vom 16. Jahrhundert bis weit ins 19. Jahrhundert das, was heute Englisch ist: die Weltsprache. Zumindest in der westlichen Hemisphäre und unter den oberen Zehntausend. Der Adel in ganz Europa parlierte untereinander in der Kultursprache des französischen Hofs. Paris bestimmte das «Gomilfoo» (frz. comme il faut, «vorbildlich, richtig») in Politik, Militär, Wissenschaft und besonders in allen Bereichen der Luxuskultur wie Mode oder Kulinarik. Immer wieder verbreiteten aktuelle Trends neue Wörter wie Kanapee, Chaiselongue, Jupe, Weste, Entrecôte, Sauce oder Glace in Europas Städten – und zunehmend auch im Bürgertum und unter den Intellektuellen.

Gallizismen wirken veredelnd

Ein eleganter französischer Ausdruck war halt im Stande, etwas Profanes zu veredeln oder mit emotionalem Gehalt aufzuladen. Contenance – ist das nicht würdevoller als blosse Fassung? Potschamber – das ist geradezu eine Schönrednerei im Vergleich zum deutschen Wort Nachthafen. Sogar Scheingallizismen entstanden, Wörter wie Friseur oder Blamage, die französisch klingen, die das Französische aber gar nicht kennt.

Eine Taschenuhr
Legende: Geleretli Taschenuhr, aus frz. «quel heure est-il?» (wie spät ist es?). Colourbox

Verdeutschungsbücher gegen die «Welschsucht»

Gegen diese «Welschsucht» kämpfte in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert eine sprachpuristische Bewegung. In Verdeutschungsbüchern forderte man, statt national solle man völkisch sagen, statt Sofa oder Kanapee besser Polsterbett. Manches wurde verspottet, wie der Vorschlag des Schriftstellers Philipp von Zesen, Pistole durch «Meuchelpuffer» zu ersetzen. Viele Verdeutschungen setzten sich langfristig aber durch. Aus Moment wurde Augenblick, aus Passion Leidenschaft. Und Ende 19. Jahrhundert ersetzten Abteil, Bahnsteig, Fahrkarte und Rückfahrkarte die französischen Wörter Coupé, Perron, Billet und Retourbillet.

Bahnsteig Perron Bahnhof.
Legende: Perron Schweizerisch für Bahnsteig, aus frz. «perron» (Aussentreppe). Keystone / Laurent Gillieron

Nicht so in der Deutschschweiz!

Bei uns waren die kulturellen Verflechtungen mit Frankreich und dem Französischen stets eng. Bis 1798 dienten rund 300 Jahre lang Hunderttausende von Schweizer Söldnern in französischen Heeren. Berner Patrizierfamilien erzogen ihre Söhne französisch, als Vorbereitung auf die obligatorische Offizierskarriere in Frankreich – oder auf einen Verwaltungsposten in der von Bern beherrschten Waadt. Solothurn, die Stadt des französischen Ambassadors, galt zeitweise fast als Exklave Frankreichs. Die französischen Glaubensflüchtlinge im 17. Jahrhundert, das Welschlandjahr im 20. Jahrhundert: Kein Wunder, hat Französisch so stark aufs Schweizerdeutsche abgefärbt, besonders in den Kantonen an der Sprachgrenze.

Kinderwagen im Feld.
Legende: Pussetli Freiburgerdeutsch für Kinderwagen, aus frz. «poussette» (Wagen zum Stossen). Colourbox

Mit Ridigüll und Baareblii an den Apéritif

Berndeutsch kennt das Pussetli (Kinderwagen), den Tämber (Briefmarke) oder das Gascho (Lattenkiste für Getränke). In Freiburg geht man patiniere (Schlittschuh laufen) und schützt sich mit dem Pärisou (Regenschirm). Während man in Basel das Geleretli (Taschenuhr), das Ridigüll (kleine Handtasche) und das Baareblii (Regenschirm) zumindest noch im passiven Wortschatz hat.

Mann trägt eine Kiste Bier.
Legende: Gascho Berndeutsch für Harass, aus frz. «cageot» (Lattenkiste). Colourbox

Bleibt die Frage: Warum provozieren Anglizismen, die doch nur rund 3 % unseres Wortschatzes ausmachen, Sprachuntergangsängste? Während sich über Gallizismen, die etwa 8.5 % unseres Wortschatzes ausmachen, niemand aufzuregen scheint? Ganz einfach: An die französischen Lehnwörter haben wir uns längst gewöhnt. Teilweise erkennen wir sie gar nicht mehr, bei Ball, Marsch oder Platz zum Beispiel. Und es kommen, anders als bei den Anglizismen, keine neuen mehr hinzu. Im Gegenteil! Altehrwürdige französische Lehnwörter wie Bankier, Mannequin oder Rendezvous werden durch die Anglizismen Banker, Model und Date ersetzt. So gesehen sind Gallizismen keine Bedrohung des Deutschen, sondern schutzbedürftig.

 Adieu, merci!

Radio SRF 1, DiniMundart, Mittwoch 25.5.2022, 9:40 Uhr

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