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Grammatisches Geschlecht Der, die, das – alles Zufall? Nein!

Oft wird behauptet, das grammatische Geschlecht müsse bei jedem deutschen Wort mühsam auswendig gelernt werden. Doch das stimmt so nicht. Es gibt Muster und Hinweise, die uns intuitiv zum richtigen Genus führen.

Nicht eines, nicht zwei, nein, drei grammatische Geschlechter hat das Deutsche: männlich, weiblich und sächlich. Dazu kommt, dass den Wörtern scheinbar willkürlich eines der drei Geschlechter zugewiesen wird. Denn man kann sich schon fragen, was an einem Löffel männlich ist und was an einer Gabel weiblich …?

Grammatisches Geschlecht = Genus

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In der Sprachwissenschaft wird das grammatische Geschlecht «Genus» genannt. Dies zur Unterscheidung vom biologischen Geschlecht («Sexus») und dem sozialen oder psychologischen Geschlecht («Gender»).

Jedem Substantiv ist ein Genus zugewiesen. Auch andere Wörter, die sich auf ein Substantiv beziehen, werden dem entsprechenden Genus angepasst.

Beispiele:
«ein gross er Löffel»
«ein e gross e Gabel»
«ein grosse s Messer»

Nur in wenigen Ausnahmefällen konnte sich nicht ein einziges Genus durchsetzen, etwa bei die oder das E-Mail oder der, die oder das Joghurt. Oft wird in solchen Fällen je nach Region ein anderes Genus bevorzugt.

Diese vermeintliche Willkür ist ein Grund, warum Deutsch als besonders schwer zu lernen gilt. Aber: So willkürlich ist die sogenannte Genuszuweisung gar nicht. Es gibt nämlich verschiedene Anhaltspunkte, die auf das eine oder andere Genus hindeuten.

Ableitungen und Klang können helfen

Am einfachsten ist die Genuszuweisung wohl bei Substantiven, die von anderen Wörtern abgeleitet sind. Eine Ableitungs-Endung bestimmt (fast) immer dasselbe Genus. Substantive auf «-ant», «-ling» oder «-ismus» sind männlich, auf «-heit», «-schaft» oder «-ung» weiblich und solche auf «-chen» und «-lein» sächlich.

Auch der Klang kann einen Hinweis auf das Genus geben. So sind einsilbige Substantive mit hohem Anteil an Konsonanten oft männlich: der Knopf, Korb, Trieb, Frack, Brand, Greis, Sarg, Stock, Mist etc.

Diese Regel hat aber auch viele Ausnahmen, etwa DIE Gruft oder DAS Herz. Weiter sind Substantive auf «-en» in 80 Prozent der Fälle männlich: der Garten, Faden, Bogen, Rücken, Schatten, … Aber: DAS Eisen.

Gedeck
Legende: Ist DIE Gabel weiblicher als DAS Messer? Wohl ein Fall von willkürlicher Genuszuweisung. Uneinig ist man sich beim Teller: Ist es (im Schweizerdeutschen) DER oder DAS Teller? Colourbox

Zuverlässiger sind Substantive, die mit einem unbetonten «-e» enden. Sie sind zu 90 Prozent weiblich: die Torte, Sonne, Kirsche, Wolle oder Watte. Aber: DER Käse.

Inhaltliche Anhaltspunkte

Bedeutung eines Substantivs kann in einigen Fällen ebenfalls Hinweise auf das Genus geben. So sind etwa viele Getränke männlich: der Tee, Wein, Schnaps, Most, Sirup. Ausgenommen sind aber zum Beispiel DIE Limonade oder DAS Bier. Es handelt sich hierbei also nur um Tendenzen, keine harten Regeln.

Bei den inhaltlichen Anhaltspunkten spielt auch das sogenannte «Leitwortprinzip» eine Rolle: In manchen Gruppen von Wörtern, die inhaltlich zusammengehören, erhalten alle Substantive das Genus des «Leitworts».

Weil Tee, Schnaps und Wein männlich sind, sind alle Tee-, Wein- und Schnapssorten ebenfalls männlich: der Chai, Darjeeling, Fendant, Rioja, Whisky, Bäzi und so weiter. Dasselbe gilt für Biere: das Lager, Weizen, Stout …

Intuitive Regeln im Kopf

Oft wird behauptet, wir hätten zu jedem einzelnen Substantiv das entsprechende Genus auswendig gelernt und im Kopf abgespeichert. Das wird von manchen Sprachwissenschaftlern allerdings angezweifelt. Sie gehen davon aus, dass wir im Kopf gewisse Regeln haben, nach denen wir weniger häufigen Substantive ein bestimmtes Genus zuweisen.

Darauf weisen die Ergebnisse von Experimenten hin: Legt man Probandinnen erfundene Substantive mit gewissen Eigenschaften vor, sind sie sich zu einem grossen Teil einig über das richtige Genus. Weil sie das Genus eines erfundenen Substantivs ja nicht abgespeichert haben können, muss es also gewisse mentale Regeln geben, nach denen das Genus zugewiesen wird. Diese Regeln sind allerdings bisher nicht gut erforscht.

Komplexe mentale Regel-Hierarchie?

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Eine Tabelle, die die Defaulthierarchie für Nomina auf Schwa darstellt.
Legende: Defaulthierarchie für Substantive auf Schwa Screenshot aus Artikel (Klaus-Michael Köpke und Klaus Zubin)

Einige Sprachforscherinnen und -forscher kommen zum Schluss, dass wir komplexe Hierarchien von verschiedenen Genus-Auslösern im Kopf haben.

Ein Beispiel für eine solche Hierarchie finden Sie oben. Sie zeigt, wie Substantive, die auf ein unbetontes «-e» (einen sogenannten Schwa-Laut) enden, intuitiv einem bestimmten Genus zugewiesen werden.

Schwächere und stärkere Regeln

Diese Hierarchie ist so zu verstehen: Ganz allgemein sind Substantive auf Schwa weiblich. Diese Regel kann aber von anderen Regeln übersteuert werden. Je weiter nach unten es geht, desto stärker ist die Regel.

So sind etwa Substantive auf Schwa, die mit «Ge-» anfangen, grundsätzlich sächlich statt weiblich. Und wenn es sich um ein substantiviertes Adjektiv handelt, kann das Wort wiederum ein anderes Genus haben, etwa «die Gerade» oder «der Geliebte».

Und zum Schluss kommen, alle Regeln ausstechend, die Ausnahmen: etwa «der Käse». Diese kann man dann wirklich nur auswendig lernen.

So oder so bleibt uns in vielen Fällen nichts Anderes übrig, als das Genus jedes einzelnen Worts auswendig zu lernen. Für ganz Verzweifelte noch dieser Hinweis: Einfache Substantive (also ohne Zusammensetzungen) sind im Deutschen in etwa zwei Dritteln der Fälle männlich.

Radio SRF 1, «Dini Mundart», 12.4.2024, 09:40 Uhr

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