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Wiederaufbau von Blatten «Ein neuer Dorfkern braucht Identität»

Nach dem verheerenden Bergsturz will Blatten im Lötschental neu anfangen. Drei bestehende Weiler und Teile des alten Dorfkerns sollen zum «neuen Blatten» ausgebaut werden. An einer Gemeindeversammlung Mitte Juni präsentierte der Gemeinderat den vorläufigen Fahrplan – in drei bis fünf Jahren soll das neue Dorf bewohnbar sein.

Seither läuft die Debatte um das «Wie». Der Wiederaufbau bedeutet mehr als nur neue Häuser. Es geht um Sicherheit, Identität und langfristige Planung, erklärt die Siedlungsentwicklerin und Architektin Sandra Bühler.

Sandra Bühler

Architektin, Stadtplanerin, Dozentin

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Sandra Bühler ist Architektin, Stadtplanerin und Dozentin am Institut für Bauen im alpinen Raum an der FH Graubünden. Sie befasst sich mit nachhaltiger Raumentwicklung und alpiner Baukultur.

SRF: Was braucht ein neu gebautes Dorf, damit sich die Menschen dort zu Hause fühlen?

Sandra Bühler: Es braucht Sicherheit im doppelten Sinn: eine tatsächliche und eine gefühlte Sicherheit. Es braucht eine Identität und einen Wiedererkennungswert. Wir leben heute in einem Zeitalter der Innenentwicklung und des nachhaltigen Bauens. Verdichtete Bauweise ist zentral. Und das ist gar nicht neu.

Wichtig ist ein stabiles Netz von Strassen und Plätzen mit Aufenthaltsqualität: mit Schatten, Wasser, Sitzgelegenheiten, Spielplätzen.

Auch historische Dörfer haben oft eine hohe Dichte. Das kann Vorbild sein. Wichtig ist ein stabiles Netz von Strassen und Plätzen mit Aufenthaltsqualität: mit Schatten, Wasser, Sitzgelegenheiten, Spielplätzen. Auch die Gebäude sollten einander ähneln – bei Materialien, Farben, Fassadengestaltung und Grösse.

Wie gibt man Menschen Sicherheit, wenn sie wie in Blatten nicht wissen, wo und wie sie künftig leben?

Das hängt stark vom Standort ab. Auf dem alten Schuttkegel wird man jahrelang nicht bauen können. Es braucht deshalb einen neuen Ort. Dafür braucht es Fachleute, Geologen und Ingenieure, die die Gefahrenlagen einschätzen. Anschliessend braucht es ein Gremium, das beurteilt, welcher Standort überhaupt infrage kommt.

Abklärung ist zentral. Nur so kann ein Ort entstehen, an dem sich die Menschen wieder wohlfühlen.

Und wie findet man heraus, was die Menschen überhaupt brauchen?

Mit viel Partizipation. Mit Gesprächen. Wer will bleiben, wer nicht? Wer will wie wohnen? Vielleicht hatte jemand ein grosses Haus und möchte nun lieber in eine Wohnung. Bauern, die ihren Betrieb verloren haben, möchten wieder aufbauen. Andere Familien haben neue Bedürfnisse. Diese Abklärung ist zentral. Nur so kann ein Ort entstehen, an dem sich die Menschen wieder wohlfühlen.

Wie fliessen gesetzliche Vorgaben in die Planung ein?

Die sind von Anfang an Teil des Prozesses. So etwas dauert Jahre. Es gibt Vorgaben zur Innenentwicklung, zum Natur- und Heimatschutz, zum Landschaftsbild.

All diese Aspekte müssen mitgedacht werden. Danach gilt es, abzuwägen, welche Standorte überhaupt infrage kommen.

Welche Rolle spielt der Tourismus beim Wiederaufbau?

Das kommt darauf an, welche Art von Tourismus man möchte. Und welche Infrastruktur dafür nötig ist. Auch hier geht es um Bedürfnisabklärung. Wenn der Tourismus ein Thema bleibt, braucht es sicher Nebeninfrastruktur und Übernachtungsmöglichkeiten für Gäste.

Die Behörden hoffen, dass der neue Dorfkern in drei bis fünf Jahren bewohnbar ist. Ist das realistisch?

Das lässt sich kaum voraussagen. Ein Beispiel: In Bondo gab es 2017 einen grossen Bergsturz. Die Arbeiten wurden jetzt, acht Jahre später, abgeschlossen. Das zeigt, wie viele Faktoren eine Rolle spielen. Einen konkreten Zeitplan festzulegen, ist sehr schwierig.

Das Gespräch führte Sandra Schiess.

Radio SRF 1, Morgengast, 19.6.2025, 7:10 Uhr

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