Nach dem glamourösen ESC-Gewinn 2024 waren die Erwartungen erwartungsgemäss hoch. Vermutlich zu hoch. Denn Nemo schuldet niemandem ein Album, höchstens sich selbst – und genau diese Haltung hört man auf «Arthouse».
Die Hälfte der Songs der Debütplatte wurden bereits veröffentlicht. «Arthouse» versammelt Singles wie den Sofort-Ohrwurm «Casanova», die Barock-Nummer «Hocus Pocus», die am ESC 2025 live präsentierte Identitäts-Oper «Unexplainable» oder die Dekadenz-Ode «Eurostar».
Und: «The Code» - Am Schluss der 13 Songs thront die über 100-millionenfach gestreamte ESC-Siegeshymne. Dass ausgerechnet dieser Song auf den letzten Platz verwiesen wurde, hat gute Gründe.
Aufgesext
Aber zuerst steigen wir ab in Nemos funkelndes Liederschloss. Willkommen im «Arthouse». Zwischen den Songs klingelt es immer mal wieder an der Tür und man wird von Nemo durch unterschiedlichste Räume geführt.
«Arthouse» hat auch ein Fitnesszimmer. Zu den ersten fünf Tracks lässt sich mühelos den Bizeps trainieren - oder Party machen. 100 Prozent pumpende «Positivity».
Neu für Nemo ist, wie explizit alles daher kommt: «Baby work with your wand / Turn me into Mozart» (Baby, arbeite mit deinem Zauberstab / Verwandle mich in Mozart).
Oder verdreht provokant: Wenn sich Nemo in einer Gay-Bar in Gott verliebt, der sich als eine Sie herausstellt. Jedenfalls fernab von familientauglichem Nachmittagsprogramm - hier wird sich ausgelebt. Zum Glück.
Genre-Fluid
Was das Album abheben lässt, sind die energiegeladene Produktion und die überraschenden Stimmungswechsel. Im Opener «Ride My Baby» wird der Schalter ganz plötzlich vom pumpenden Rave-Pop auf verträumte Eighties-Synths umgeschaltet. «Arthouse» schlägt aus, in unterschiedlichste Himmelsrichtungen und fühlt sich dennoch nach einer grossen Umarmung an.
Eine Umarmung, die zudem den Spagat zwischen Mainstream und Kunstanspruch sehr gut meistert. Trotz Highgloss, man hört den Songs an, wie an ihnen gezweifelt, gearbeitet und geschliffen wurde - und das macht sie ehrlich. Wie auch das Titelstück «Arthouse», welches nach der schrillen Party das erste Comedown bietet, um uns gleich wieder auf den Floor zu schicken. «Arthouse» blubbert, bebt und blüht.
Vielschichtig
Nemos Anwesen zeigt sich divers. Es bietet auch spassige Örtchen wie den «Frog Swamp», direkt hinter dem Haus, an den uns Nemo mit der Gastmusikerin Mia Gladstone aus New Jersey entführt. Im Grundbau erzählt dieses Debüt dann letztlich die Geschichte von Nemos Identitätsfindung.
«Durch dieses Album habe ich mich besser kennengelernt und kann nun erstmals ein vollständiges Bild von mir zeigen», fügt Nemo an. Kurz nach dem vorletzten Pinselstrich, dem wunderschön trägen «I Got High At The Party» fällt die Haustür vorerst ins Schloss.
Kosmopolitisch
Dass dann zum Schluss noch «The Code» nachgeschoben wird, ist stimmig. Nicht um Album-Streams zu boosten wie in den USA (Cardi B und Drake lassen grüssen), sondern weil der Song als Anfangspunkt dieser Reise auch unter dieses Dach gehört. Und weil Nemo dieses Album designt hat, um es auf der anstehenden Europatour an einem Stück aufzuführen, mit «The Code» als verlässlicher Zugabe.
Ob man Nemos Pop mag oder nicht, «Arthouse» ist ein mehr als gelungenes Debüt. Ein Werk, das sich zum Glück die Zeit nahm, Abstand zum ESC-Trubel zu gewinnen und der Welt nun die Chance bietet, sich erneut in Nemos Kunst zu verlieben.