Sind die Oscars nur ein oberflächliches Schaulaufen der Stars – oder ist der populärste Filmpreis der Welt doch gar nicht so unwichtig, wie man denkt?
Fest steht: Wird – wie im letzten Jahr – ein Aussenseiter wie «Moonlight» zum besten Film des Jahres ausgezeichnet, hat das Signalwirkung für die Zukunft des Kinos.
In welche Filme wird zukünftig Geld investiert? Die Oscarverleihung und seine Gewinner sind ein wichtiger Gradmesser für solche Entscheidungen. Dementsprechend sind auch dieses Wochenende wieder alle Augen auf Los Angeles gerichtet, wenn in der Nacht auf Montag die 24 Goldmännchen neue Abnehmer finden.
Wird gewinnen: «The Shape of Water»
Das Rennen um den Hauptpreis ist so offen wie schon lange nicht mehr. Während die Verleihungen der letzten paar Jahre meistens auf ein Duell herausliefen, dürfen sich dieses Jahr mindestens drei der neun nominierten Filme ernsthafte Hoffnungen auf den wichtigsten Preis des Abends machen:
- «The Shape of Water» hat an der diesjährigen Preisverleihung die meisten Nominierungen (13). Das ist in der Regel ein gutes Anzeichen dafür, dass der Film breiten Support aus allen Sparten der «Academy» (Schauspieler, Maskenbildner, Kameraleute, und und und) geniesst.
- « Three Billboards Outside Ebbing, Missouri » hat an den zahlreichen Preisverleihungen, die jeweils im Vorfeld der Oscars stattfinden («Golden Globes», «SAG Awards», «BAFTAs», etc.), viele Preise abgeräumt.
- « Get Out » ist von seiner Thematik her der «relevanteste» Film des Jahres und könnte vom politisch aufgeladenen Klima Hollywoods profitieren.
Soll gewinnen: « Dunkirk » oder «Get Out»
Gewagte Prognose: «The Shape of Water» wird es wie «Life of Pi» ergehen.
«Life of Pi» ist ein ordentlicher Film eines meisterhaften Regisseurs (Ang Lee) und sackte 2013 vier Oscars aus 11 Nominierungen ein. Aber wer mag sich heute, fünf Jahre später, noch an diesem Film erinnern? Eben.
Auch «The Shape of Water» ist zweifelsohne ein einwandfreies, hübsch anzusehendes Märchen eines ebenso meisterlichen Regisseurs (Guillermo del Toro). Doch wird der Film den Test der Zeit überstehen? Wohl eher nicht.
Auch wenn «The Shape of Water» ein für die Oscars eher ungewöhnliches Werk ist – schliesslich geht’s hier um eine stumme Frau, die sich in ein Fischmonster verliebt! –, die technisch abgefahrene Achterbahnfahrt («Dunkirk») oder die soziopolitische Satire («Get Out») wären die bessere, respektive mutigere Wahl.
Wird gewinnen: Gary Oldman («Darkest Hour»)
Im Zweit-Weltkriegs-Drama «Darkest Hour» verkörpert ein fast nicht wieder zu erkennender Gary Oldman den legendären britischen Premierminister Winston Churchill.
Die Verkörperung von historischen Figuren, die vom Schauspieler eine körperliche Transformation abverlangen, scheint für die Oscar-Wählerschaft noch immer das höchste Mass aller Dinge zu sein. Leider.
Soll gewinnen: Daniel Day-Lewis («Phantom Thread»)
Als «Oscar bait» bezeichnet man Rollen – oder ganze Filme – die einzig und alleine dafür geschrieben und produziert werden, um Oscars zu gewinnen. Gary Oldmans Winston Churchill fällt in genau diese Kategorie: «Oscar bait».
Das ist besonders schade, weil drei seiner Mitnominierten viel interessantere Leistungen abgeliefert haben. Allen voran Daniel Day-Lewis. Mit dem Briten verhält es sich ein bisschen wie mit Roger Federer: Es ist zwar ein bisschen langweilig, wenn immer der Gleiche gewinnt – aber er ist halt einfach der Beste.
Niemand versetzt sich so tief in seine Figuren wie Day-Lewis, der mit der Verkörperung des Schneiders Reynolds Woodcock gleichzeitig seinen Rücktritt von der Schauspielerei verkündete. Ein vierter (und letzter?) Oscar für «DDL» wäre ein mehr als verdientes Abschiedsgeschenk für eine unvergleichbare Karriere.
Wird & soll gewinnen: Frances McDormand («Three Billboards Outside Ebbing, Missouri»)
Mit ihrer Performance als Mutter, die ein fürchterliches Verbrechen an ihrer Tochter aufklären möchte, präsentiert Frances McDormand ihre ganze Bandbreite: Frust, Trauer, Wut – und natürlich ganz viel Schwarzen Humor.
McDormands Leistung war die mit Abstand beste des abgelaufenen Kinojahres und dürfte völlig zurecht mit einem Oscar prämiert werden. Das unterschreiben wir noch so gerne.
Wird gewinnen: Guillermo Del Toro, «The Shape of Water»
Nach Alfonso Cuarón («Gravity», 2013) und Alejandro G. Iñárritu («Birdman», 2014 & «The Revenant», 2015) dürfte jetzt auch der letzte der « Three Amigos » endlich eine der prestigeträchtigen Regie-Statuen sein Eigen nennen.
Del Toro geniesst dank Filmen wie «Pan’s Labyrinth» ein hohes Ansehen in der «Academy», sein Film hat die meisten Nominationen des Abends und zusätzlich gewann er den Regie-Preis bei fast allen Vor-Oscar-Preisverleihungen. Der Fall scheint klar zu sein.
Soll gewinnen: Christopher Nolan, «Dunkirk»
Mit Filmen wie «Inception», «The Dark Knight» oder «Memento» schafft Christopher Nolan regelmässig etwas, das sonst kaum einem anderen gelingt: Er macht Filme, die sowohl bei Kritikern gut ankommen, als auch mächtig Kohle in die Kassen der Filmstudios spielen.
Auch «Dunkirk» hat mit weltweiten Einnahmen von über 520 Millionen US-Dollar fast so viel Geld eingespielt, wie alle anderen acht Nominierten zusammen. Und zusätzlich könnte man ein Argument dafür machen, das «Dunkirk» sein bislang bester Film ist. Ein bildgewaltiges Meisterwerk, das einem mit bisher noch nie dagewesenen Aufnahmen (die IMAX-Aufnahmen in den Flugzeugen!) den Atem raubte. Warum nicht Christopher Nolan?
Die weiteren Kategorien
In der Nacht auf Montag werden insgesamt 24 Statuen verliehen. So sehen unsere Tipps (und persönlichen Favoriten) in den weiteren Kategorien aus:
Bester Nebendarsteller
Wird gewinnen: Sam Rockwell, «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri»
Soll gewinnen: Willem Dafoe, « The Florida Project »
Beste Nebendarstellerin
Wird gewinnen: Allison Janney, « I, Tonya »
Soll gewinnen: Lesley Manville, «Phantom Thread»
Bestes adaptiertes Drehbuch
Wird & soll gewinnen: James Ivory, « Call Me by Your Name »
Bestes Originaldrehbuch
Wird & soll gewinnen: Jordan Peele, «Get Out»
Beste Kamera
Wird gewinnen: Roger Deakins, «Blade Runner 2049»
Soll gewinnen: Hoyte van Hoytema, «Dunkirk»
Bester Schnitt
Wird gewinnen: Lee Smith, «Dunkirk»
Soll gewinnen: Paul Machliss & Jonathan Amos, « Baby Driver »
Bestes Szenenbild
Wird gewinnen: Paul Denham Austerberry, Shane Vieau & Jeffrey A. Melvin, «The Shape of Water»
Soll gewinnen: Dennis Gassner & Alessandra Querzola, «Blade Runner 2049»
Bestes Kostümdesign
Wird & soll gewinnen: Mark Bridges, «Phantom Thread»
Bestes Make-up und beste Frisuren
Wird & soll gewinnen: Kazuhiro Tsuji, David Malinowski & Lucy Sibbick, «Darkest Hour»
Beste visuelle Effekte
Wird gewinnen: Joe Letteri, Daniel Barrett, Dan Lemmon & Joel Whist, « War for the Planet of the Apes »
Soll gewinnen: John Nelson, Gerd Nefzer, Paul Lambert & Richard R. Hoover, «Blade Runner 2049»
Beste Filmmusik
Wird gewinnen: Alexandre Desplat, «The Shape of Water»
Soll gewinnen: Jonny Greenwood, «Phantom Thread»
Bester Filmsong
Wird gewinnen: «Remember Me» aus «Coco» (Kristen Anderson-Lopez & Robert Lopez)
Soll gewinnen: «Mystery of Love» aus «Call Me by Your Name» (Sufjan Stevens)
Bester Ton
Wird & soll gewinnen: Mark Weingarten, Gregg Landaker & Gary A. Rizzo, «Dunkirk»
Bester Tonschnitt
Wird gewinnen: Richard King & Alex Gibson, «Dunkirk»
Soll gewinnen: Julian Slater, «Baby Driver»
Bester fremdsprachiger Film
Wird & soll gewinnen: « Una mujer fantástica » – Chile, Sebastián Lelio
Bester Animationsfilm
Wird & soll gewinnen: «Coco», Darla K. Anderson & Lee Unkrich
Bester Dokumentarfilm
Wird & soll gewinnen: «Icarus», Bryan Fogel & Dan Cogan
Bester Kurzfilm
Wird gewinnen: «DeKalb Elementary», Reed Van Dyk
Bester animierter Kurzfilm
Wird gewinnen: «Dear Basketball», Glen Keane und Kobe Bryant
Bester Dokumentar-Kurzfilm
Wird gewinnen: «Heroin(e)», Elaine McMillion Sheldon & Kerrin Sheldon
Soll gewinnen: «Heaven Is a Traffic Jam on the 405», Frank Stiefel