Zum Inhalt springen

Beziehung Schweiz und Russland Russengeld in der Schweiz: Gesetzeslücken und Geldwäscherei

Jahrelang hat der Schweizer Finanzplatz mit Geld aus dem hochkorrupten Russland gut gelebt. Der Angriffskrieg in der Ukraine rückte die Gelder in den Fokus. Ist nun ein Ende der kuriosen Geldflüsse absehbar?

Man glaubte als Russland-Beobachter in den letzten Jahren oft seinen Augen nicht, wenn zu lesen war, dass die Schweizer Bundesanwaltschaft wieder einmal gesperrte russische Gelder freigab – und zwar von höchst zwielichtig scheinenden Personen.

Oder wenn sie nicht einmal Verfahren eröffnete – obwohl es doch von aussen schien, als würden die von russischen Oppositionellen zusammengetragenen Dossiers genügend Sprengstoff enthalten.

Fakt ist aber auch: Wenn die Staatsanwaltschaft Geldwäscherei in Zusammenhang mit russischen Geldern beweisen will, muss sie aufzeigen, dass dahinter eine Straftat in Russland steckt, respektive es dort eine Verurteilung gab.

Christof Franzen

SRF-Sonderkorrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Christof Franzen ist Redaktor für Dokumentarfilme und Reportagen. Er arbeitet seit 2003 für SRF und kehrte 2018 nach 13 Jahren als Russland-Korrespondent in die Schweiz zurück. Seither reiste er für verschiedene Produktionen immer wieder nach Russland.

In besonderen Fällen von Wirtschaftskriminalität stecken aber Banditen und Behörden oft unter einer Decke, und die Rechtshilfe von russischer Seite bleibt aus.

Keine Kooperation seitens Russlands

So hatte zum Beispiel die Bundesanwaltschaft vor Jahren rund 70 Millionen Franken der ehemaligen russischen Landwirtschaftsministerin Jelena Skrynnik und ihres Umfeldes sperren lassen.

Porträtbild Elena Skrynnik
Legende: Die promovierte Ökonomin Jelena Skrynnik war von 2009 bis 2012 Landwirtschaftsministerin in der Russischen Föderation. IMAGO/Russian Look

Verdacht: Geldwäscherei. Aber ohne die Kooperation Russlands war die Schweiz offensichtlich auch in diesem Fall machtlos. Die Ministerin erhielt ihre mutmasslich kriminellen Millionen zurück. 

Die Schweiz bietet Sicherheit

In Russland ist das Vermögen noch ungerechter verteilt als anderswo. Und die Schweiz ist ein Land, das Sicherheit bietet. Es ist ein demokratischer Rechtsstaat mit stabiler Währung, der weder Mitglied der EU noch der Nato ist und der einen Vermögensverwaltungssektor auf höchstem Niveau besitzt.

Das wirkt anziehend: für Geschäftsleute oder Privatpersonen, die legitime Vermögen und Gewinne sicher anlegen möchten. Aber eben auch für Korrupte und Verbrecher, die hier Gelder ins Reine bringen wollen. 

In diesem Geschäft hat es keinen Platz für die Moral.
Autor: Christian Lüscher Natinalrat FDP

Aber wie sagte uns der Genfer FDP Nationalrat Christian Lüscher, eiserner Verteidiger des Schweizer Finanzplatzes: «In diesem Geschäft hat es keinen Platz für die Moral.» Er verweist auf das schweizerische Geldwäschereigesetz, das eines der härtesten der Welt und «absolut perfekt» sei.

Und wenn irgendwelche Leaks dann doch aufzeigen, dass zumindest moralisch höchst fragwürdige Gelder aus Russland und anderswo hier landen, dann sei das nur, weil eben auch durch das feinmaschigste Netz, der eine oder andere Fisch durchschwimmen könne.

Der Fall Sergei Roldugin

Ein solcher «Fisch» war anscheinend 2016 Sergej Roldugin, ein enger Freund Putins aus Jugendjahren.

Als einfacher Cellist schob er Hunderte von Millionen über Briefkastenfirmen in der Karibik und der Schweiz herum. Der Verdacht liegt nahe, dass die eigentlichen Besitzer dieser Gelder, und der Zugriffsrechte auf Firmen, Präsident Putin und seine Entourage waren.

«Wenn man als Schweizer Bank solches Vermögen annimmt, dann geht man ein enormes Risiko ein, wenn man hier den Steigbügelhalter für den russischen Präsidenten spielt. Das Risiko sollte man eigentlich nicht eingehen», sagt Oliver Zihlmann, Investigativ Journalist bei der Tamedia-Gruppe.

«Bonus, Bonus, Bonus»

Es gibt viele, die diese offizielle Position vom sauberen Bankenplatz anzweifeln. Ein seit Jahren mit dem Russland-Geschäft bestens vertrauter Schweizer Banker sagt: «Geld ist wie Wasser – es findet immer seinen Weg.»

Man sei dem Gesetzgeber stets zwei, drei Schritte voraus. Und Kundinnen aus Russland waren besonders attraktiv. Diese waren nämlich bereit, den Banken viel für das Risiko zu bezahlen. Und für die einzelnen Bankangestellten heisse das: «Bonus, Bonus, Bonus.»

Gesetze sind schön und gut, sagt Korruptionsexperte Mark Pieth. Aber man müsse sie auch anwenden. Er hat seine Bedenken, dass das geschieht: «Denn sonst würde viel mehr von dem, was weltweit zu uns kommt, aus dubioser Herkunft auffliegen.»

Sowohl die Finanzmarktaufsicht als auch die Bundesanwaltschaft sind eher schwächlich.
Autor: Mark Pieth Antikorruptionsexperte

Es sei ein Problem der Finanzwelt, aber auch der Behörden. «Wir sind ein winziges Land, haben eine riesige Exposition in diesen Branchen. Und ehrlich gesagt, sowohl die Finanzmarktaufsicht als auch die Bundesanwaltschaft sind eher schwächlich.»

Porträtbild Mark Pieth
Legende: Mark Pieth ist ein Schweizer Rechtswissenschaftler und hat sich auf internationale Verfahren spezialisiert. KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Sie seien gar nicht in der Lage, all diese Fälle anzupacken. Er selber kenne eine ganze Reihe von Fällen, wo einfach nichts gemacht worden sei.

Russlandfreundlich und blauäugig

Der Schweizer Finanzplatz hat lange von dieser Situation profitiert. Und die Bundesanwaltschaft muss sich rückblickend von verschiedensten Seiten den Vorwurf gefallen lassen, sie sei jahrelang blauäugig, ja sogar russlandfreundlich gewesen.

Nach dem Einmarsch der Russen in der Ukraine hat die Bundesanwaltschaft die Rechtshilfe mit Russland ausgesetzt – aber all die Jahre davor hat man Russland wie einen normalen Rechtsstaat behandelt, obwohl damals die gleichen Leute an den Machthebeln sassen wie jetzt.

Die Bundesanwaltschaft kommuniziert bei konkreten Fällen jeweils äussert zurückhaltend. Sie schrieb SRF, ihr sei die Unabhängigkeit wichtig und man schütze die Institution vor ausländischem Einfluss.

Wenig politischer Wille und viele Gesetzeslücken

Die Anzahl der den Behörden gemeldeten Geldwäsche-Verdachts-Fälle ist stark angestiegen. Banker sind sensibler geworden und melden häufiger. In fünf Jahren gab es fast 24'000 Verdachtsmeldungen. Zu einer Verurteilung kam es aber nur in rund 700 Fällen.

Justiz und Finanzmarktaufsicht haben diejenigen Mittel zur Verfügung, die sie von der Politik erhalten. Und diese Mittel waren und sind in der Schweiz begrenzt. Das sei politisch gewollt. 

Porträtbild Prica Birrer Heimo
Legende: Nationalrätin Prica Birrer-Heimo machte sich dafür stark, die Lücken im Geldwäschereigesetz zu schliessen. SRF

«Es gibt wenig politischen Willen, mehr zu tun, als was man international muss», klagt SP Nationalrätin Prisca Birrer-Heimo. So lasse sich in der Schweiz wegen verschiedener Gesetzeslücken in gewissen Fällen immer noch nicht sagen, wer die wirtschaftlichen Berechtigten von Finanzkonstrukten sind.

Keine Meldepflicht für die Anwaltschaft

Zudem wurden 2021 Anwälte und Anwältinnen nicht dem neuen Geldwäschereigesetz unterstellt. Das heisst: Es gibt für sie keine Meldepflicht beim Verdacht auf Geldwäscherei. Darum ist bei der Entgegennahme von moralisch fragwürdigen Geldern nach wie vor die Tandem-Arbeit von Bankern und Anwälten möglich.

Anwältinnen entwerfen die komplexen Strukturen und Labyrinthe, über verschiedene Länder und Rechtsräume verteilt, bis am Schluss der Ursprung der Gelder verschleiert ist. Das Verstecken spielt eine zentrale Rolle.

Die Anwaltsbüros nehmen zwar selbst kein Geld entgegen. Aber sie erstellen die Dokumente, «die gute Story», die die Gelder legal aussehen lassen. Danach kann der Banker diese Gelder dann mit rechtlicher Absicherung entgegennehmen.

Chancenlose Ermittlungen

Ermittler und Staatsanwälte, die dann zwischen Panama, Zypern oder Hongkong den Geldflüssen folgen müssen, und von der juristischen Zusammenarbeit mit diesen Ländern abhängig sind, sind oft von Anfang an auf verlorenem Posten. Oder meinen es zu sein und versuchen es darum erst gar nicht.

In Zusammenhang mit zwielichtigen Geldern aus Russland schien in der Schweiz jahrelang das Motto zu gelten: Im Zweifelsfall annehmen. Viele würden damit gut gelebt haben. «Da steckt eine ganze Industrie dahinter», sagt der Bank-Insider gegenüber SRF.  

Sobald es um das grosse Geld geht, gibt es den Rechtsstaat nicht mehr.
Autor: Michail Schischkin Russischer Schriftsteller

Der russische Schriftsteller Michail Schischkin, ein vehementer Kritiker des Putin Regimes, aber auch des Schweizer Finanzgebarens, erklärt, was dieses Gehabe damals für einen Einfluss auf das junge, post-sowjetische Russland gehabt habe.

«Der Westen und die Schweiz hätten uns helfen können. Und zwar ganz einfach. Man hätte am eigenen Beispiel zeigen sollen, wie der Rechtsstaat funktioniert. Doch sobald es um das grosse Geld geht, gibt es den Rechtsstaat nicht mehr.»

Der Westen, und somit auch die Schweiz, haben die Augen verschlossen.
Autor: Catherin Belton Britische Schriftstellerin (Putins Netz)

Die britische Erfolgsautorin Catherin Belton (Putins Netz) gibt sich nach jahrelangen Recherchen überzeugt, dass die Anhäufung russischer Milliardenvermögen im Westen nicht in erster Linie der persönlichen Bereicherung galt, sondern sie hatte strategische Zwecke. Es gehe Putin um die strategische Macht.

Porträtbild Catherin Belton
Legende: Catherin Belton schrieb das Buch «Putins Netz: Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste». SRF

Belton sagt, der Westen, und somit auch die Schweiz, seien mitverantwortlich für den Krieg in der Ukraine: «So viele Jahre haben wir unsere Augen davor verschlossen, wie das Putin Regime seine Macht missbraucht hat. Wären wir nicht so willig gewesen, das Geld seines Regimes anzunehmen, dann wären wir viel stärker und besser vorbereitet gewesen, um uns zu wehren.»

Echo der Zeit, 15.02.23, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel