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Beziehung Schweiz-Russland «Die Schweiz könnte den Hebel bei Schlüsselpersonen ansetzen»

Wladimir Putin hat die separatistischen «Volksrepubliken Luhansk und Donezk» in der Ostukraine anerkannt und entsendet militärische Truppen. Während die USA, die EU und weitere Staaten mit Sanktionen reagieren, wartet die Schweiz zu. Was für Druckmittel hat sie in der Hand? Wirtschaftsprofessor Reto Föllmi ordnet die wirtschaftliche Verflechtung der beiden Länder ein.

Reto Föllmi

Professor für internationale Ökonomie

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Reto Föllmi ist Professor für Internationale Ökonomie an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Wirtschaftswachstum, Aussenhandel und Regulierung von Finanzmärkten.

SRF News: Wie sieht die Handelsbeziehung zwischen der Schweiz und Russland aus?

Reto Föllmi: Die Schweiz exportiert rund sechs Milliarden in Gütern und Dienstleistungen und importiert für rund drei Milliarden Franken. Das Handelsvolumen ist also relativ bescheiden und Russland gehört nicht zu den 20 grössten Handelspartnern der Schweiz. Pharma, Maschinen, Uhren und Transportdienstleistungen werden hauptsächlich exportiert. Bei den Importen spielen Edelmetalle die Hauptrolle, Gas wird über Drittländer importiert.

Wie abhängig ist die Schweiz von Russland – und umgekehrt?

Die direkten gegenseitigen Abhängigkeiten sind gering. Aber es fliesst viel Geld von der Schweiz nach Russland – immerhin liegt die Schweiz auf dem sechsten Platz der russischen Direktinvestitionen. Weitergehende Sanktionen, auch im Alleingang, müssen verhältnismässig sein.

Die Vermittlerrolle der Schweiz hat auch einen (Friedens-) Wert – zumindest jetzt noch.

Ein generelles Einfrieren der Direktinvestitionen würde eine grosse Zahl von Investoren in Russland und in Retorsionsmassnahmen auch der Schweiz betreffen und wäre nicht nur auf die politischen Machthaber beschränkt. Zu betonen ist, dass die Vermittlerrolle der Schweiz auch einen (Friedens-)Wert hat – zumindest jetzt noch.

Weitergehende Sanktionen, auch im Alleingang, müssen verhältnismässig sein.

Inwiefern ist die Schweizer Wirtschaft von der Eskalation im Ukraine-Konflikt betroffen?

Die weltweit steigenden Öl- und Gaspreise spüren wir schon jetzt im Portemonnaie. Von den direkten Gasimporten der Schweiz stammen fast die Hälfte aus Russland. Russland ist damit der mit Abstand wichtigste Gaslieferant der Schweiz.

Zudem ist mit weiteren Turbulenzen an den Aktienmärkten zu rechnen. Russland ist ein grosser Exporteur von Rohstoffen, die in der globalen Produktionskette eine wichtige Rolle spielen. Beispielsweise die Nahrungsmittelindustrie, die auf die Düngerproduktion angewiesen ist. Mit Preissteigerungen ist zu rechnen.

Das EDA hat bisher keine Sanktionen gegen Russland verordnet. Welche Sanktionen könnte die Schweiz überhaupt gegenüber Russland ergreifen?

Sie könnte sich den Sanktionen der EU, Grossbritanniens oder der USA anschliessen. Schon seit der Krim-Annexion versucht die Schweiz, Umgehungsgeschäfte zu vermeiden. Diese können entstehen, wenn bisheriger Handel zwischen der EU und Russland über die Schweiz abgewickelt würde.

Archivbild: Zeigt den russischen Aussenminister Sergej Lawrow und den Bundespräsident der Schweiz, Ignazio Cassis.
Legende: Der russische Aussenminister Sergej Lawrow und Bundespräsident Ignazio Cassis bei ihrem Treffen in Genf am 21. Januar 2022. Keystone

Welche dieser Sanktionen würden Ihrer Meinung nach Russland am meisten wehtun?

Die obigen Sanktionen wirken alle eher längerfristig. Die finanziellen Sanktionen schnüren Russland vom internationalen Kapitalmarkt ab. Kurzfristig schmerzt das die russische Volkswirtschaft nicht so stark, weil sie einen Leistungsbilanzüberschuss aufweist, sie sich also nicht im Ausland finanzieren muss. Langfristig ist es aber Gift für die weitere Entwicklung der russischen Wirtschaft. Sie ist weiterhin stark von Rohstoffen abhängig und sie exportiert wenig industrielle Güter und Dienstleistungen. Für eine solche Verbreiterung bräuchte sie aber ausländisches Kapital.  

Die Schweiz könnte den Hebel bei finanziellen Sanktionen gegenüber Schlüsselpersonen der russischen Führung ansetzen.

Sehr wirksam wäre ein Handelsembargo, was die EU und die ganze Welt über steigende Öl- und Gaspreise aber auch treffen würde. Darum schreckt man noch davor zurück. Weitere finanzielle Sanktionen gegenüber Schlüsselpersonen der russischen Führung haben für diese kurzfristig den stärksten Effekt. Je nach Entwicklung der Lage könnte die Schweiz hier den Hebel ansetzen, weil sie hier einen grösseren Druck ausüben kann.

Das Gespräch führten Antonia Jochberg und Nina-Lou Frey.

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Rendez-vous, 23.2.2022, 12:30 Uhr ; 

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