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Wie einsam sind Menschen in der Schweiz?
Aus Reporter vom 02.06.2024.
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Einsam und gemeinsam Einsamkeit überwinden: Trauer-Cafés als Zufluchtsort

Nach dem Verlust eines geliebten Menschen finden Maya und Naima im Trauer-Café einen Ort, um gemeinsam zu trauern und neue Hoffnung zu schöpfen. Gemeinschaft hilft bei der Bewältigung von Schicksalsschlägen.

«Ich fühlte mich, als wäre ich mit 100 km/h in eine Wand gerannt. Ein Knall – und das Leben ist anders.» So beschreibt Maya Rykart den Moment, als sie erfährt, dass ihr Partner überraschend in der Nacht an einer Lungenembolie verstorben ist.

Ich habe ihm gesagt, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden.
Autor: Maya Rykart

Obwohl sie das Spital zu spät erreichte, um sich richtig von ihm zu verabschieden, schickte sie noch einige Worte mit auf seinen letzten Weg: «Das Gehör sei das letzte, das beim Tod geht. Also habe ich ihm noch gesagt, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden. Und ich glaube daran, dass er mich gehört hat.». Er wurde knapp 64 Jahre alt.

Die Stille sei das Schlimmste an der Einsamkeit, welche zum erdrückenden Gefühl der Trauer hinzukommt. Jetzt verstehe sie auch ihre Grossmutter, die früher dauernd den Fernseher zu Hause laufen liess.

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Maya verlor ihren Lebenspartner völlig unerwartet
Aus Reporter vom 02.06.2024.
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Das mache sie nun auch: Den Fernseher oder das Radio einschalten, damit sie Stimmen um sich herum hat, erklärt Maya. Das grosse Nichts, das mit der Einsamkeit kommt, fühle sich an wie eine leere Flasche. Das Leben findet draussen statt. Ohne sie. Bis sie das Trauer-Café entdeckt.

Ein Ort des Zusammenhalts nach dem Verlust

Orte wie das Trauer-Café bieten Raum für Menschen, die eine geliebte Person verloren haben, und sich in einem geschützten Rahmen über ihre Trauer austauschen möchten. Es handelt sich um eine unterstützende Umgebung, in der man auf Menschen trifft, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben.

Das Café ist eine offene Gruppe, in der Menschen aller Religionen und Philosophien willkommen sind, um gemeinsam ihre Trauer zu teilen und zu verarbeiten. Auch Maya findet hier Trost und kann sich mit Menschen, welche ebenfalls mit den emotionalen Lasten eines Verlustes zu leben haben, austauschen.

Psychologen weisen darauf hin, dass Familie und Freunde nicht immer die gesamte Last der Unterstützung tragen können. Professionelle und spezialisierte Unterstützung kann daher sowohl den Trauernden als auch ihrem sozialen Umfeld Entlastung bieten.

Allein gelassen: Wenn Mitgefühl an seine Grenzen stösst

Das Verständnis im Verwandten- und Bekanntenkreis ist zwar vorhanden, kommt aber an seine Grenzen. Es sei doch schon so lange her, warum sie denn immer noch weine, wird Maya gefragt.

Tipps, wie man trauernden Personen helfen kann

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  • Auf die eigene Intuition vertrauen, um herauszufinden, was der Trauernde braucht.
  • Die Person anhand von Anrufen, Karten oder Nachrichten kontaktieren und konkrete Hilfe wie Spaziergänge oder eine Einladung zum Kaffee anbieten.
  • Leere Floskeln vermeiden und auch nach längerer Zeit den Kontakt aufrechterhalten, da die Einsamkeit oft wächst, wenn die anfängliche Anteilnahme nachlässt.
  • Eigene Erfahrungen mit Trauer vorsichtig teilen und bei Bedarf auf Hilfsangebote hinweisen.
  • Verständnis und regelmässige Unterstützung sind entscheidend, um Trauernde aus ihrer Isolation zu holen.

Solche Aussagen schmerzen und verstärken das Gefühl, eine Last zu sein. Die Leere kehrt wieder ein, man fühlt sich unverstanden und allein.

Einsamkeit entsteht oft, wenn soziale Beziehungen nicht den Erwartungen entsprechen. Dieses Gefühl kann besonders stark sein nach dem Verlust eines geliebten Menschen.

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Die Trauer geht nicht einfach weg
Aus Reporter vom 02.06.2024.
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In einer Zeit, in der sich Menschen mit schweren Verlusten und emotionalen Belastungen konfrontiert sehen, wird deutlich, wie wichtig es ist, einen Raum zu haben, in dem man sich verstanden fühlt und Trost findet.

Ein Beispiel neben den Trauer-Cafés sind auch Selbsthilfegruppen für Menschen mit bestimmten Krankheiten oder Leiden, in denen sich Betroffene austauschen und gegenseitig unterstützen können.

Trauer-Café oder Selbsthilfegruppe?

Selbsthilfegruppen richten sich an Menschen mit verschiedenen Anliegen wie chronischen Krankheiten oder psychischen Problemen. Sie sind formeller organisiert, bieten regelmässige Treffen und konzentrieren sich auf den Austausch von Erfahrungen und Strategien zur Bewältigung.

Anlaufstellen für Trauernde

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Nebst dem Standort in Bern gibt es weitere Trauer-Cafés in anderen Kantonen sowie schweizweit zusätzliche Anlaufstellen für Hinterbliebene.

Trauer-Cafés hingegen sind speziell für Menschen gedacht, die einen Verlust betrauern. Sie sind informeller, finden oft in einem Café-ähnlichen Umfeld statt und werden von Fachleuten moderiert. Der Schwerpunkt liegt hier auf der Trauerbewältigung und dem Austausch von Gefühlen und Erinnerungen.

Während Selbsthilfegruppen langfristige Unterstützung bieten können, sind Trauer-Cafés flexibler in der Dauer und Häufigkeit der Treffen.

Stärke im Austausch

Auch Online-Plattformen und Foren ermöglichen es Menschen, die ähnliche Lebenssituationen durchlebt haben, miteinander in Kontakt zu treten und einander zu stärken.

Diese unterstützenden Gemeinschaften tragen dazu bei, dass Einzelne sich weniger isoliert fühlen und besser mit ihren Herausforderungen umgehen können.

Sie bieten Raum für den Austausch von Informationen, Emotionen und Ratschlägen, was letztendlich zu einem Gefühl der Verbundenheit und des Zusammenhalts führt.

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Maya und Naima freundeten sich im Trauer-Café an
Aus Reporter vom 02.06.2024.
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Mit der Unterstützung von zwei Trauerbegleiterinnen geht es im Trauer-Café darum, über den Verlust und den Schmerz zu sprechen und diesen so ein Stück weit teilen zu können. Die Schicksalsgefährten und -gefährtinnen schenken einander Verständnis und ein Gemeinschaftsgefühl, aus dem vielleicht sogar Freundschaften entstehen können.

So passiert im Fall von Maya und Naima. Letztere hat vor zwei Jahren ihre Grossmutter verloren, der sie sehr nahestand. In Maya fand die 34-Jährige nicht nur eine Verbündete, mit der sie ihren Schmerz teilen kann, sondern auch eine Freundin.

Einsamkeit kennt kein Alter

Das Gefühl der Isoliertheit oder Kontaktlosigkeit betrifft nicht nur ältere Personen. Da Naima dieses Gefühl nur zu gut kennt und selbst davon betroffen ist, hat sie eine Selbsthilfegruppe für junge Menschen ins Leben gerufen.

«Reporter Spezial – Auf Achse»

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Legende: Reporter Donat Hofer im Reisebus SRF

«Reporter Spezial – Auf Achse» ist eine vierteilige Serie, in der Reporter Donat Hofer in einem Bus durch die Schweiz reist, um die alltäglichen Leben der Menschen zu erkunden. In jeder Folge taucht er tief in verschiedene Themen ein, die die Schweizer Bevölkerung bewegen.

Die Serie beginnt im Juni mit den ersten beiden Folgen «Wie einsam sind Menschen in der Schweiz?» und «Wie liebt und hasst die Schweiz?».
Im August folgen Beiträge zu den Themen «Körper und Geist» sowie «Freud und Leid».

Was sie am meisten belastet, sei das fehlende Gefühl der Zugehörigkeit, erklärt Naima. Dieses Gefühl hatte sie bei ihrer verstorbenen Grossmutter erleben dürfen. Zugehörigkeit, ein Ort, wo sie gesehen und verstanden wird.

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Wie liebt und hasst die Schweiz?
Aus Reporter vom 09.06.2024.
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Und obwohl sie eine offene und zugängliche Person sei, bleibe ihr das Zugehörigkeitsgefühl in der Gesellschaft verwehrt. Was der Grund dafür ist, kann sie nicht sagen, und die Angst, nicht angenommen und akzeptiert zu werden, kehrt immer wieder ein.

Ein reflektierender Blick auf Trauer und Einsamkeit

Abschliessend wird deutlich, dass Trauer und Einsamkeit tiefgreifende und universelle Erfahrungen sind, die Menschen jeden Alters und in verschiedenen Lebenssituationen betreffen können.

In einer Gesellschaft, in der traditionelle Formen der Trauerverarbeitung oft verloren gegangen sind und das Verständnis für Trauernde manchmal an Grenzen stösst, kann es von entscheidender Bedeutung sein, unterstützende Gemeinschaften und Räume wie das Trauer-Café zu schaffen.

Der Austausch von Emotionen und Informationen schafft Verbundenheit und Zusammenhalt, der Trauernde aus ihrer Isolation holen kann.

SRF 1, 2.6.2024, 20:00 Uhr;kesm

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