Der Tod – ein oft tabuisiertes Thema. Inmitten dieser Stille steht der 11-Jährige Lucien Schaller. Sein Vater ist vor drei Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs gestorben. Nach dem Verlust ringt er nicht nur mit seiner eigenen Trauer, er spürt auch die Unsicherheit seiner Freunde.
Umgang mit dem Tod
Anstatt sich mit seiner Situation auseinanderzusetzen, wenden sich viele von ihm ab. Lucien Schaller sehnt sich jedoch nach einem normalen Umgang und der Möglichkeit, offen über seine Gefühle zu sprechen: «Ich wünsche mir, dass die Leute trotz allem normal mit mir reden.»
Ich wünsche mir, dass die Leute trotz allem normal mit mir reden.
Er und seine Familien sind Mitglieder von «Aurora», einem Verein für Verwitwete mit minderjährigen Kindern.
Zu Hause zeigt Lucien Schaller seine Erinnerungsbox. Darin befinden sich Fotos, Kleidungsstücke und das Namensschild, das sein Vater jeweils bei der Arbeit trug. Auch im ganzen Haus verteilt schmücken Fotos des Vaters die Wände.
In der Garderobe hängt sogar noch immer seine Jacke. Lucien und seinen beiden Brüdern ist es wichtig, den Vater möglichst nahe bei sich zu wissen. Deshalb liegt auch das Grab im Garten des Hauses.
So bleibt der Vater weiterhin Teil ihres Lebens. Auf dem Grab stehen Vögel, die der Vater so mochte, Windräder und es liegen auch Medaillen von Skirennen der Kinder darauf. Jeder sei willkommen, etwas auf das Grab zu legen, betont Sandra Schaller, Luciens Mutter. Aber kaum jemand wage es. Die Witwe erlebt eine grosse Unsicherheit von anderen.
Mitgefühl, aber kein Mitleid
Auch Sabine Niederer-Schneider spürt, wie schwierig es für das Umfeld ist, sich mit dem Tod zu konfrontieren. Ihr Freundeskreis hat sich nach dem tödlichen Bergunfall ihres Mannes vor zwölf Jahren verkleinert.
Damals gab es sogar Menschen, die die Strassenseite gewechselt hätten, erinnert sich die zweifache Mutter zurück. Mitleid sei aber auch keine Lösung, sie wünscht sich Mitgefühl und einen offenen Umgang mit dem Tod.
Jeder und jede gehe mit dem Tod anders um, erzählt Sabine Niederer-Schneider. Ihre Tochter Annika war damals sechs Jahre alt. Das Mädchen fühlte sich zu Hause nicht mehr wohl und wohnte deshalb in der ersten Zeit bei den Nachbarn.
Die Zeit heilt Wunden, aber eine Narbe bleibt.
Die Mutter hat es akzeptiert und sogar verstanden: «Jede und jeder soll in einer solchen Situation das tun, was ihm oder ihr guttut. Es gibt keine Regeln.»
«Die Zeit heilt Wunden, aber eine Narbe bleibt», attestiert Sabine Niederer-Schneider. Auch zwölf Jahre später spürt die zweifache Mutter die tiefe Lücke, die ihr Mann in ihrem Leben hinterlassen hat. Aufgeben war aber nie eine Option, nicht zuletzt der Kinder wegen.
Die Kinder als Motivation weiterzumachen
Wie viel Lebenskraft und Energie Kinder geben können, weiss auch Sylvia Kyburz. Vor rund drei Jahren nahm sich ihr Mann das Leben – sie war damals mit dem vierten Kind schwanger. Sie selbst empfand nach dem Suizid grosse Trauer, aber auch Wut und Enttäuschung.
Sie fühlte sich von ihrem Partner im Stich gelassen. Dennoch fand sie für sich einen Weg weiterzumachen, auch dank der Kinder. Die Frage nach dem Warum begleitet Sylvia Kyburz aber weiterhin.
Nach dem Tod ihres Mannes zog Sylvia Kyburz mit ihren Kindern weg. Sie fühlte sich in ihrem bisherigen Zuhause nicht mehr wohl. Nun lebt die Familie zusammen mit Sylvia Kyburz’ Eltern und ihrem Bruder in einem Mehrgenerationen-Haus. Für die grosse Unterstützung ihrer Familie ist die gelernte Pflegefachfrau sehr dankbar.
Schicksalsbedingte Zusammenführung von zwei Familien
Ihren neuen Partner, Michael Graf, lernte sie bei einem Samichlaus-Event vom Verein «Aurora» kennen. Sie beide teilen ein ähnliches Schicksal. Auch Michaels Frau hat sich vor rund drei Jahren das Leben genommen.
Ich spreche täglich mit Jenny über ihr Mami.
Seither zieht Michael Graf seine mittlerweile fünfjährige Tochter Jenny alleine gross. Trotz neuer Beziehung bleibt die verstorbene Partnerin Teil des Lebens: «Ich spreche täglich mit Jenny über ihr Mami. Sie hat ein Mami und sie weiss, wo sie ist. Ihr Mami ist bei den Sternen und Engeln.»
Leben als Patchwork-Familie
Die Kinder haben oberste Priorität. Deshalb sieht sich das Paar nur selten. Wenn immer möglich, verbringen sie die Wochenenden aber gemeinsam mit den Kindern auf dem Campingplatz in Salavaux. Dieser Ort ist für Michael Graf nach dem Tod seiner Frau zum Kraftort geworden.
Energie geben sich die beiden Familien auch gegenseitig. Die Patchwork-Familie zeigt, welche Kraft in der Liebe steckt, sei es für die eigenen Kinder oder für einen neuen Partner.