«Wir wissen nie, was kommt. Wenn es ‹hornet›, gehen wir», sagt Klaus Müllener. Er ist Rettungssanitäter bei Air-Glaciers und zusammen mit Notärztin Bettina Eberle und Pilot Arno Parli für 72 Stunden am Stück im Dienst. Es sind nicht nur Bergrettungen, für die sie aufgeboten werden. Verkehrsunfälle, Transporte von Patientinnen und Patienten oder Suchflüge – es kommt, was kommt.
Mit einem kleinen Ärzte-Rucksack können wir etwa 70 bis 80 Prozent aller Einsätze abdecken.
Die Einsätze werden nach dem Prinzip Next Best vergeben: Die vom Unfallort nächste verfügbare Einheit wird aufgeboten. «Da kann es auch vorkommen, dass wir bis nach Beromünster fliegen.» Die Heli-Basis in Lauterbrunnen ist eine von sechs Basen von Air-Glaciers. Jährlich fliegen die Rettungshelikopter über 3000 Einsätze.
Wenn es ernst wird...
Und dann hornet es ein erstes Mal: Eine Wanderin mit Fussverletzung in unwegsamen Gelände – so die erste Information zum Einsatz. Vor Ort kann der Helikopter nicht landen, Pilot Arno Parli entscheidet sich, die Notärztin und den Rettungssanitäter schwebend aussteigen zu lassen. Es ist laut, der Abwind des Helikopters wirbelt Staub des Wanderwegs durch die Luft.
Der Instinkt schreit «Flucht», doch die beiden Rettungskräfte knien neben dem schwebenden Heli auf den Boden und bleiben ruhig, bis dieser weg ist und keine Gefahr mehr besteht.
Nach der ersten Abklärung entscheidet sich die Crew für eine Bergung mit der Seilwinde, um die verletzte Wanderin dann bei einem Zwischenlandeplatz in den Helikopter zu laden. Notärztin Bettina hängt sich mit der Patientin an das Seil.
Oben im Helikopter bedient Rettungssanitäter Klaus die Winde und gibt dem Piloten genaue Anweisungen, wie hoch und wie weit er fliegen muss. Ein eingeübtes Zusammenspiel, bei dem jeder Handgriff sitzen muss, denn der Pilot hat keinen guten Blick nach unten.
Immer bereit für den nächsten Alarm
Nach rund eineinhalb Stunden landet der Helikopter wieder bei der Basis in Lauterbrunnen. Pause? Fehlanzeige. «Retablieren» heisst das Zauberwort: Medikamente müssen aufgefüllt und überprüft werden, denn der nächste Einsatz kann jederzeit kommen. «Mit dem kleinen Ärzte-Rucksack können wir etwa 70 bis 80 Prozent aller Einsätze abdecken», sagt Klaus.
Für komplexere Fälle steht ein grösserer Rucksack bereit. «Da sind Medikamente drin für Schmerzen, epileptische Anfälle, Kreislaufprobleme oder künstliche Narkosen», erklärt Notärztin Bettina. «Klar, vor Ort ist unsere Diagnostik eingeschränkt», sagt Notärztin Bettina. «Wir machen wirklich einfach das, was möglich ist.» Für komplexere Fälle steht ein grösserer Rucksack bereit.
Zwischen den Einsätzen wirkt die Basis fast wie eine Wohngemeinschaft. Jeder hat hier ein kleines Zimmer, gemeinsam wird gekocht, geputzt und gewartet. Es geht familiär zu und her, die Arbeit schweisst zusammen. Denn zum einen müssen sich die drei bei einem Einsatz quasi blind vertrauen können.
Zum anderen sind es die Erlebnisse, die die drei als Team stark prägen. «Womit ich am meisten Mühe habe ist, wenn jemand verstirbt und Angehörige dabei sind», sagt Pilot Arno. «Dieses Leid kriegt man eins zu eins mit. » Wenn es auf einem Rückflug von einem Einsatz im Helikopter ruhig ist und niemand etwas sagt, dann ist das ein Zeichen, dass es später ein Gespräch braucht, um das Erlebte zu verarbeiten. In solchen Situationen unterstützt sich das Team gegenseitig.
Wir sind keine Helden. Wir machen einfach unseren Job.
«In meiner Freizeit gehe ich gerne Bergsteigen», erzählt Bettina. Und sie gesteht: Früher auch mal bei vielleicht nicht ganz idealen Wetterbedingungen. Dies habe sich aber seit ihrer Arbeit als Heli-Notärztin geändert: «Heute habe ich ein Rettungsszenario immer im Hinterkopf, wenn ich in den Bergen unterwegs bin: Ist Flugwetter und könnte man mich holen kommen?» Viele seien sich aber nicht bewusst, wie schnell Grenzen erreicht seien.
Auch das Handy gäbe einem heute eine falsche Sicherheit, ergänzt Pilot Arno. «Manche haben das Gefühl, sie können uns jederzeit wie ein Taxi rufen. Aber bei Nebel oder Dunkelheit wird es auch für uns gefährlich». Sich und die Rettungscrew in Gefahr bringen, das machen sie nicht. «Wir gehen an die Limite, aber wir erzwingen nichts. Wenn jemand im Team sagt, das passt mir nicht mehr, dann kehren wir um und suchen einen Plan B.»
Heli-Retter, aber keine Helden
Zwei Verkehrsunfälle, ein Schwächeanfall, allergische Reaktionen – die Einsätze an diesen Sommertagen sind vielseitig. Die Arbeit als Heli-Retter ist psychisch und physisch anspruchsvoll.
«Der Job gibt mir viel Energie, weil ich denke, der andere kann das vielleicht nicht mehr machen», sagt Rettungssanitäter Klaus. «Das macht mich zufrieden und auch bescheiden. Besitz bedeutet mir nichts.» Ein Satz von Arno hallt nach: «Wir Heli-Retter sind keine Helden. Wir machen einfach unseren Job.» Und wenn es hornet, dann gehen sie los.