Prozess gegen Ousman Sonko - «Endlich wird die Welt mitbekommen, was in Gambia passiert ist»
Die Schweiz verhandelt derzeit mit Gambias Diktatur. Ousman Sonko, langjähriger Innenminister, ist wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Für Opfer wie Fatoumatta Sandeng ist der Prozess ein wichtiger Teil der Erinnerungsarbeit. Ihre grösste Angst: Dass die Verbrechen vergessen gehen.
«Das ist ein sehr emotionaler Ort für mich», sagt Fatoumatta Sandeng. Die 29-Jährige steht vor einer weiss getünchten Mauer mit Stacheldraht. Dahinter der Sitz des früher berüchtigten Geheimdienstes, in Gambias Hauptstadt Banjul.
Erinnerung an die Straftat
«Hier wurde mein Papa gefoltert und getötet», sagt Fatoumatta. «Es ist wahnsinnig, dass dieses Gebäude immer noch hier ist.»
Gambia über 20 Jahre im Klammergriff der Diktatur
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Er werde eine Milliarde Jahre regieren, wenn es Gott gefalle, sagte Yahya Jammeh einst. Schlussendlich wurden es über 20 Jahre, in denen der Autokrat Gambia mit eiserner Hand führte – von 1996 bis 2017. Erst als der Druck aus der demokratischen Bewegung zu gross wurde und er die Wahlen verlor, setzte sich Jammeh ins Exil nach Äquatorialguinea ab.
An Jammehs Seite über viele Jahre: Ousman Sonko, als Innenminister verantwortlich für Polizei und Gefängnisse. Sonko verliess Gambia im Herbst 2016 Richtung Europa und wurde dank eines
Berichts der «Rundschau»
in einem Schweizer Asylzentrum entdeckt.
Die Schweizer Bundesanwaltschaft klagte Sonko aufgrund des Weltrechtsprinzips an. Dieses besagt, dass schwerwiegende Straftaten – wie Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit – auch ausserhalb des betroffenen Staates verfolgt werden können. Für Sonko gilt die Unschuldsvermutung.
Gambia hat die autokratische Zeit u. a. mit einer Wahrheitskommission aufgearbeitet. Diese veröffentlichte 2022 einen umfassenden Schlussbericht, indem Jammeh und seine Regierung schwerer Menschenrechtsverletzungen bezichtigt werden wie Mord, Vergewaltigung und Folter.
Die Sicherheitskräfte hätten unter Jammeh, so der Bericht, eine Atmosphäre der Angst geschaffen und kritische Stimmen systematisch eingeschüchtert.
Vater Solo Sandeng war ein bekannter Politaktivist und hatte für ein demokratisches Gambia gekämpft. 2016 wurde er vom Regime verhaftet und getötet.
«Das sind unsere Mandelas»
Mit dem Tod begann für Fatoumatta Sandeng eine Lebensaufgabe: Das Vermächtnis des Vaters fortführen und gegen das Vergessen kämpfen. Sie gründete die «Solo Sandeng Stiftung» und organisiert etwa Ausstellungen in Erinnerung an die Folteropfer.
Vergessen sei ein Teil der gambischen Kultur, sagt Fatoumatta: «Wir vergeben, vergessen und gehen weiter.» Die Politaktivistinnen und Journalisten, die während der Diktatur gefoltert oder getötet wurden, hätten für Freiheit und Demokratie gekämpft.
Sie seien für Gambia, was Nelson Mandela oder Steve Biko für Südafrika seien. «Wenn wir diese Leute vergessen, vergessen wir einen Teil der gambischen Geschichte», sagt Fatoumatta.
«Das Verfahren in der Schweiz ist sehr wichtig»
Das Gerichtsverfahren gegen Ousman Sonko findet in der Schweiz statt: Weil der frühere Innenminister hierzulande verhaftet wurde und weil der Vorwurf – Verbrechen gegen die Menschlichkeit – so schwer wiegt. Fatoumatta Sandeng ist als Privatklägerin am Verfahren und ist überzeugt: «Endlich wird die ganze Welt mitbekommen, was in Gambia passiert ist.»
Nach der Diktatur beginnt die schwierige Aufarbeitung
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Die Folgen von Kriegen oder – wie im Fall von Gambia – von Unrechtsregimen, können mit verschiedenen Massnahmen aufgearbeitet werden:
Strafverfolgung von mutmasslichen Tätern:
Den Grundstein dafür legten die Nürnberger Prozesse, welche nach dem Zweiten Weltkrieg das NS-Unrecht in Deutschland aufarbeiteten.
Weitere Beispiele sind etwa Strafgerichte zum Völkermord in Ruanda oder in Kambodscha. In Gambia gab es erst wenige nationale Prozesse, etwa das «NIA 9»-Verfahren, in dem verschiedene ehemalige Sicherheitsleute verurteilt wurden; zudem befassen sich – wie in der Schweiz – auch Gerichte in Deutschland und den USA mit den Verbrechen während der Diktatur in Gambia.
Wahrheitskommission:
Neben der Strafverfolgung werden auch Wahrheits- und Aussöhnungskommissionen eingesetzt, die Menschenrechtsverletzungen untersuchen und dokumentieren. Bekannte Beispiele für solche Kommissionen sind Argentinien oder Südafrika, aber auch in Gambia kam eine Wahrheitskommission zum Einsatz.
Entschädigung und Amnestie:
Auch Entschädigungszahlungen für Gewaltopfer und Amnestien gehören zu den Instrumenten der Übergangsjustiz. Diese sollen einer Gesellschaft nachhaltigen Frieden und Aussöhnung ermöglichen.
Im Land selbst sind bislang nur wenige mutmassliche Täterinnen und Täter vor Gericht gestellt worden. Die Gründe dafür sind mannigfaltig: Teils flüchteten die Verantwortlichen ins Ausland – so auch Diktator Yahya Jammeh –, teils fehlt es an den gesetzlichen Grundlagen oder dem politischen Willen zur Strafverfolgung.
«Gerechtigkeit kann von überall kommen»
«Wir sind froh, dass es Länder wie die Schweiz gibt, die sich für die Strafverfolgung einsetzen», sagt auch Politologe Sait Matty Jaw. Die Verbrechen seien an Gambierinnen und Gambiern verübt worden. «Aber was die Opfer wollen, ist Gerechtigkeit, und diese kann von überall kommen.»
Derzeit laufen in Gambia Bemühungen, ein Hybrid-Gericht auf die Beine zu stellen. Vor diesem Spezial-Strafgericht soll dereinst auch Diktator Jammeh zur Rechenschaft gezogen werden – momentan befindet er sich allerdings im sicheren Exil in Äquatorialguinea.
Sonko-Urteil in den kommenden Monaten
Die Schweiz verhandelt derweil das Schicksal des früheren Innenministers. Im März werden vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona die Plädoyers vorgetragen. Das Urteil wird in den nächsten Monaten erwartet.
Was aber, wenn Ousman Sonko freigesprochen wird? «Dann werden wir immer noch wissen, dass wir gewonnen haben», sagt Fatoumatta Sandeng. «Dass wir den Mut gehabt haben, die Wahrheit zu sagen.»
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