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Schweizer Sommer im Kosovo Zwischen zwei Welten: Wenn die kosovarische Diaspora Ferien macht

Rund 250'000 Menschen mit kosovarischen Wurzeln leben in der Schweiz. Jeden Sommer reisen Tausende zurück. Zu Familie, Identität – und Heimat. Ihre Geschichten zeigen, wie eng der Kosovo und die Schweiz verbunden sind.

Zwischen der Schweiz und dem Kosovo liegen rund 1200 Kilometer Luftlinie. Und doch sind die beiden Länder einander näher, als es die 18-stündige Autofahrt vermuten lässt. Beide sind kleine, bergige Länder in Europa – verbunden durch eine starke Beziehung: politisch, wirtschaftlich, historisch und vor allem menschlich.

Und jedes Jahr mit Beginn der Sommerferien setzt eine stille Völkerwanderung ein: Richtung Kosovo. Auch Lilly Ganijaj aus der Region Luzern verbringt diesen Sommer mit ihren Töchtern im Kosovo.

Hier im Kosovo bin ich Ausländerin. Und in der Schweiz auch.
Autor: Litafet «Lilly» Ganijaj Lebt in der Schweiz

25 Jahre lang war sie nicht mehr hier. Jetzt ist sie zurück und überwältigt. «Es sind meine Wurzeln, aber nicht meine Heimat», sagt sie an diesem lauen Sommerabend in der Fussgängerzone in Pristina, der Hauptstadt von Kosovo.

Ihre beiden Töchter haben sie zur Reise bewegt, denn sie wollten die Wurzeln der Mutter kennenlernen. In der Schweiz fühlt sie sich fremd aufgrund ihres Namens. Im Kosovo ebenfalls, weil sie dort nie gelebt hat. «Ich bin Ausländerin hier. Und in der Schweiz auch.»

Bunjaku, ein Bündner Geschlecht

Auch Amir Bunjaku, 30, kennt die Probleme mit dem Namen. Der Verkaufsleiter einer Versicherung lebt in der Region Zürich und reist mehrmals pro Jahr nach Kosovo, in das Land, aus dem seine Eltern ausgewandert sind.

«Es ist auch schon vorgekommen, dass, wenn ich mich am Telefon mit Bunjaku vorgestellt habe, manche gleich wieder aufgelegt haben.» Damit muss man lernen umzugehen und man darf dabei den Humor nicht verlieren. Wenn ihn heute jemand nach seinem Namen frage, sage er mit einem Lachen «Bunjaku, das ist ein Bündner Geschlecht».

Diese Erfahrung teilen viele. Die Kinder der Diaspora wachsen mit zwei Kulturen auf – und oft mit dem Gefühl, sich beweisen zu müssen.

Elmonda Bajraliu ist Mitte 20 und lebt in Winterthur. Sie studiert angewandtes Recht und arbeitet daneben Teilzeit bei einer Bank. Der Schweiz ist sie sehr dankbar, für die Möglichkeiten, die sie hier hat. Aber: «Man musste drei-, viermal mehr leisten als alle anderen.»

Dankbarkeit und Wertschätzung

Die Eltern von Elmonda kamen als Teenager in die Schweiz. Hier mussten sie damals bei null anfangen, wie sie sagt: «Meine Generation hat jetzt in der Schweiz viele Privilegien, wir können studieren oder eine Ausbildung machen. Dafür sind wir enorm dankbar.»

Elmonda Bajraliu vor Kleidungsstücken
Legende: Elmonda Bajraliu besucht während des Sommers im Kosovo oft viele Hochzeiten. SRF

Ihrer Vorgänger-Generation Wertschätzung zu zeigen, ist für Elmonda wichtig. «Es sind vor allem die Umstände. In den 2000er-Jahren gab es nicht immer die schönsten Nachrichten über die albanische Community.»

Kosovarische Familien sind oft über den ganzen Globus verteilt. Die Sommerferien sind darum der ideale Zeitpunkt, Familie und Freunde zu treffen. Diese Besuche und das Pflegen der Familie sind für die Menschen der Diaspora enorm wichtig. Familien halten zusammen und feiern auch gerne mal ein Fest. In diesem Sommer reist auch Elmonda für ein solches an: die Hochzeit ihres Cousins.

Hochzeiten sind hier im Sommer überall gegenwärtig und auch ein Wirtschaftszweig. Einer, der kosovarische Hochzeitsträume erfüllt, ist Fehmi Fetahi. In den 1970er-Jahren kam er als Saisonier in die Schweiz, verliebte sich, blieb und machte sich erfolgreich selbständig.

Ohne Diaspora könnten wir nicht überleben.
Autor: Fehmi Fetahi Unternehmer

Jetzt führt er zusammen mit seiner Frau Sara die «Vali Ranch» in der Nähe von Gjilan, im Südosten Kosovos. Hier finden in der Hochsaison bis zu vier Hochzeiten parallel statt.

Fehmi Fetahi
Legende: Fehmi Fetahi beschäftigt 100 Angestellte in der «Vali Ranch». Hier werden kosovarische Hochzeitsträume wahr. SRF

«Ohne Diaspora könnten wir nicht überleben», sagt Fetahi. 90 Prozent der Hochzeitsgäste seien Schweizerinnen und Schweizer. Etwa 30‘000 Franken kostet eine Hochzeitsfeier, mit 300 bis 400 Gästen, erklärt er. Dies steht im krassen Gegensatz zu seiner eigenen Hochzeit. Da waren es nur vier Gäste.

«Wir hatten kein Brautkleid, ich hatte keinen Anzug, wir hatten kein Geld, nichts», erzählt Fetahi. Seine Frau Sara, sie kommt aus der Schweiz, doppelt nach: «Ein Nichts habe ich geheiratet». Er, ein Ausländer, Moslem, arbeitslos – man habe ihnen damals sechs Monate gegeben. Im Mai dieses Jahres feierten sie den 40. Hochzeitstag.

Die Schweizer Präsenz im Kosovo

Auf den Strassen von Pristina fahren alte Schweizer Postautos als Linienbusse, auf dem Bazar gibt es Fussballtrikots von Xherdan Shaqiri oder Granit Xhaka zu kaufen. Autos mit Schweizer Kennzeichen wie «BE», «ZH» oder «SG» sind allgegenwärtig.

Ich freue mich, nach Kosovo zu fliegen – aber auch, wieder zurück in die Schweiz zu kommen.
Autor: Elmonda Bajraliu Studentin

Kurz: Die Schweiz ist in Kosovo spürbar. Auch für die Wirtschaft ist die Schweiz wichtig. «Zum einen gibt es seit mehr als 25 Jahren Entwicklungszusammenarbeit», erklärt Jürg Sprecher, Botschafter in Pristina. «Und dann macht die Diaspora auch viel, indem sie Geld zurücksendet. Diese sogenannten Rimessen sind etwa 13 bis 15 Prozent des BIP. Davon kommt rund ein Fünftel aus der Schweiz».

Zwischen Stolz und Schmerz

Die Beziehung zwischen der Schweiz und dem Kosovo ist keine abstrakte Statistik. Sie lebt in den Geschichten der Menschen – hier und dort. Geschichten zwischen traditionellen Rollenbildern und modernen Lebensentwürfen, zwischen Stolz und Schmerz, zwischen Zürich und Pristina: Die Frage aber, wie man beiden Kulturen gerecht wird, bleibt individuell.

So enden irgendwann auch die Sommerferien von Elmonda: «Ich freue mich, nach Kosovo zu fliegen – aber noch ein kleines bisschen mehr, wieder zurück in die Schweiz zu kommen.»

SRF 1, Mona Mittendrin, 09.10.2025, 20:05 Uhr; noes

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