Ich dachte, es gäbe wohl keinen spannenderen Moment, um einen Gesetzgebungsprozess zu verfolgen, als wenn das Unmögliche möglich gemacht werden muss. Im letzten April also bauten wir unsere Kamera zum ersten Mal vor Kommissionszimmer 3 im Bundeshaus auf. In diesem Zimmer tagt die staatspolitische Kommission des Nationalrats. Die 25 Parlamentarier dieser Kommission haben die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative (MEI) in monatelanger Arbeit beraten. Vier von ihnen sind die Stars in unserem Film: Kurt Fluri (FDP), Andreas Glarner (SVP), Cédric Wermuth (SP) und Ruth Humbel (CVP).
Kommissionsarbeit früher und heute
Schon einmal wurde ein Film zur Kommissionsarbeit von Parlamentariern gemacht: «Mais im Bundeshuus» anno 2003. In den letzten 14 Jahren aber hat sich viel verändert. Dass die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in den Pausen nicht mehr Zeit haben, in Ledersesseln im Korridor zu fläzen, ist dabei nur das Augenfälligste. Mit dem Aufkommen der Onlinemedien wurde die Politik zusätzlich mediatisiert. Cédric Wermuth sagt, das habe das Verhalten der Parlamentarier verändert. Heute werde es als Schwäche ausgelegt, wenn man seine Position ändere: «Wenn das rauskommt, gibt’s sofort die Schlagzeile ‚Wermuth verrät sein Parteiprogramm’». Verheerend für die Arbeit des Parlaments. «Die Fehlerkultur von einst wurde abgelöst von einer Kultur der Konfrontation».
Angst vor Gesichtsverlust
Gleichzeitig ist die Politik personalisierter geworden. Ein zweischneidiges Schwert: Einerseits suchen und geniessen die Parlamentarier das Rampenlicht, andrerseits haben sie Angst, in der Presse verrissen zu werden. Darum sind die Kommissionssitzungen vertraulich: Das offene Gespräch ist zwingend, nicht die Parteipolitik soll im Vordergrund stehen, sondern das Ringen um eine mehrheitsfähige Lösung. Während bei «Mais im Bundeshuus» die Politiker draussen vor der Tür offenherzig alles wiederholten, was drinnen gesagt wurde, wird heute streng auf das Kommissionsgeheimnis gepocht.
Rüge wegen Aufnahmen im leeren Raum
Die Filmaufnahmen waren darum schwieriger als gedacht. Natürlich verstehen wir, dass Aufnahmen im Kommissionszimmer nur in den Pausen gemacht werden können, dass sie die Erlaubnis des Kommissionspräsidenten brauchen, dass wir keine Tonaufnahmen machen und auch keine Protokolle filmen dürfen. Daran haben wir uns selbstverständlich gehalten. Aber offenbar reichte das immer noch nicht: Eines Morgens waren wir lange vor der Sitzung im Bundeshaus, der Raum stand offen, und er war leer. Der Kameramann machte sich daran, ein paar Bilder zu drehen, als plötzlich mehrere Leute im Zimmer standen und auf uns einredeten. Was wir hier verloren hätten? Ich verwies auf unsere monatelangen Dreharbeiten für den Dokumentarfilm, die ich jedes Mal im Voraus vorschriftsgemäss anmeldete. Aber nein, eine explizite Bewilligung für Aufnahmen in einem leeren Raum, die hatte ich nicht. Der Kommissionssekretär drohte, mich deshalb aus dem Bundeshaus zu werfen.
Vertrauliche Sitzungen – und Bruch des Kommissionsgeheimnisses
Dieses Verhalten kontrastiert mit der Grosszügigkeit, mit der einige Parlamentarier vertrauliche Kommissionsprotokolle an die Presse und Lobbyisten weiterleiten. Für einen wahren Shitstorm sorgte der Fall der FDP-Nationalrätin Christa Markwalder, die Informationen aus der aussenpolitischen Kommission an eine Lobbyistin herausgab, die diese an ihre Auftraggeber aus dem autokratischen Staat Kasachstan weiterleitete. Im kleinen Rahmen machte auch ich meine Erfahrungen, als ich 2015 einen kritischen Film ( «Die Macht des Volkes» ) zu heiklen Initiativen drehte: FDP-Frau Doris Fiala, damalige Leiterin der Schweizer Delegation im Europarat, war nicht zufrieden mit meinem Vorgehen während der Dreharbeiten. Sie schrieb einen Brief an SRF mit Kopie an die elf anderen Parlamentarier der Delegation. Aber noch bevor das Schreiben bei uns auf dem Pult lag, rief mich ein «Blick»-Journalist an und verlangte eine Stellungnahme. Wer das Leck war, liess Doris Fiala nicht untersuchen.
Transparenz und Intransparenz
Nicht vertraulich dagegen sind die Strategiesitzungen der Parteien, die vor der Kommissionssitzung stattfinden. Hier fand ich es interessant, dass die FDP, die CVP und die SP damit einverstanden waren, dass wir ihre Sitzungen drehen – unter der Prämisse, dass wir sie erst nach der Schlussabstimmung ausstrahlen. Ausgerechnet die SVP aber lehnte das Filmen der Strategiesitzungen ab; jene Partei also, die verlangt, dass das Kommissionsgeheimnis abgeschafft wird. Ob das wohl mit den widersprüchlichen Aussagen der SVP in diesem Geschäft zu tun hat? Der Film jedenfalls zeigt, dass SVP-Protagonist Andreas Glarner das Gesetz abändern wollte, so dass die Personenfreizügigkeit abgeschafft würde, während Strategiechef Christoph Blocher der Presse sagte, die bilateralen Verträge seien zu bewahren.
Sieger und Verlierer
Die SVP: Vordergründig scheint die grösste Partei die Verliererin der Umsetzung der MEI zu sein. Statt Höchstzahlen für Zuwanderer einzuführen, hat das Parlament den Volkswillen zu einem Vorrang für Arbeitslose abgeschwächt. Dies aufgrund des Dilemmas, dass die Personenfreizügigkeit im Widerspruch zu Höchstzahlen steht. Die SVP sei die eigentliche Gewinnerin, sagt Protagonistin Ruth Humbel von der CVP: Nicht nur habe die Partei es geschafft, mit ihrem Thema drei Jahre lang im Gespräch zu bleiben. Die äusserst schwache Umsetzung sei zudem eine Steilvorlage für die nächste SVP-Initiative, die Landesrecht vor Völkerrecht stellen will. Unerwartete Gewinnerin ist die SP. «Inside Bundeshaus» zeigt, wie die Sozialdemokraten am Anfang noch im abseits standen, und wie sie vom Streit unter den Bürgerlichen profitieren konnten.
Die direkte Demokratie – und ihre Grenzen
Als Zaungast für ein Jahr im Bundeshaus bleibt mir der langwierige Prozess in Erinnerung, bis ein Gesetz entsteht. Die nicht enden wollenden Diskussionen darüber, was personenfreizügigkeitskompatibel ist und was nicht. Im Gegensatz zu Mitbürgern, die «denen dort oben» grundsätzlich misstrauen, hat mir der grosse Einsatz und die Dossierkenntnis der Milizparlamentarierinnen und -parlamentarier imponiert. Und gerade darum hoffe ich, dass die Politik nicht immer mehr zur Show verkommt, wie das während den Ratsdebatten der Fall war.
Die SVP ruft: «Volksverrat!» Die politischen Gegner sagen: Die SVP hat eine in sich widersprüchliche Initiative als Marketing-Instrument zur Abstimmung gebracht, die sie gar nicht gewinnen wollte, und sie hat die äusserst schwache Umsetzung politisch ausgeschlachtet. So oder so: Für mich ist die Umsetzung der MEI ein Lehrstück über unser politisches System – und was passiert, wenn die direkte Demokratie an ihre Grenzen stösst.