Jahr für Jahr stellt der Migrationsdienst des Kantons Bern fest, dass es eine grosse Differenz gibt zwischen der Zahl negativer Asylentscheide und der Zahl der Menschen, deren Wegweisungsentscheid durch Ausschaffung vollzogen werden kann. Konkret: Regelmässig können nur rund die Hälfte der Leute ausgeschafft werden, die eigentlich ausgeschafft werden müssten. Fachleute sprechen von «Vollzugsproblemen».
«Wenn die Person nicht will…»
Frage an Claudia Ransberger, Leiterin Asyl und Rückkehr beim Migrationsdienst des Kantons Bern: Gibt es spezielle Länder, bei denen Sie Vollzugsprobleme feststellen? Antwort Ransberger: «Es gibt diverse Länder, bei denen der Vollzug nicht einfach zu organisieren ist. Unter anderem Marokko, Algerien, Äthiopien, Eritrea, Afghanistan.» Nachfrage von «Reporter»: Wenn diese Leute also nicht ausreisen wollen, dann können Sie sie auch nicht dazu bewegen? Ransberger: «Aktuell ist das zum Beispiel für Marokko richtig. Wenn die Person nicht will, dann können wir als Behörde keinen Vollzug in die Wege leiten.»
Er will bleiben – und wird bleiben
«Die Person» – wer ist «die Person»? Konkret sprechen wir zum Beispiel von Ibrahim aus Marokko, der mir erzählt, er sei 32 Jahre alt und vor 4 Jahren in die Schweiz gekommen. Er könne schwere Baumaschinen bedienen, sagt er, ausserdem könne er Zimmer und Gebäude streichen und Leuten die Haare schneiden. Ibrahim wirkt sympathisch und verbindlich. Ausserdem tut er sich durch Freiwilligenarbeit im Durchgangszentrum Aarwangen hervor. Nur: Ist dieser freundliche Mann ein «echter Flüchtling»? Er sagt ja – und liefert dazu eine ziemlich abenteuerliche Begründung:
Ob Ibrahims Begründung nun glaubwürdig ist oder nicht, spielt im Grunde keine Rolle. Er kann sowieso bleiben. Er muss sich nur weigern, gegenüber seiner Botschaft schriftlich zu erklären, er wolle die Schweiz freiwillig verlassen. Natürlich weigert er sich, dies zu tun. Er will ja bleiben. Und er wird bleiben. Jedenfalls bis sich die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Marokko normalisiert. Dem Migrationsdienst sind die Hände gebunden.
Jajov wollte zu seinen Kindern
Natürlich wissen sie, was sie tun. Ich habe noch selten Menschen getroffen, die so gut Bescheid wussten über Artikel und Paragrafen wie im Durchgangszentrum Aarwangen. An einigen scheint ein Anwalt verloren gegangen zu sein. Das befremdet. Aber gleichzeitig befremdet freilich auch die Ausweglosigkeit der Situation dieser Menschen.
Ich denke zum Beispiel an Bilent Jajov aus Mazedonien. 1988, als sich die Lage auf dem Balkan zusehends verschlechterte, floh Jajov mit seiner Familie nach Deutschland und entkam so dem sich zusammenbrauenden Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien. 2003, als dieser Bürgerkrieg längst zu Ende war, wurde er nach Mazedonien abgeschoben. Seine Kinder durften indes in Deutschland bleiben. 2010 hielt er es nicht mehr aus in Mazedonien, er wollte zurück zu seinen Kindern nach Deutschland.
Jeden Abend betet er
Jajov hatte Pech: Er hatte es über Griechenland und Italien bis in die Schweiz geschafft. Kurz vor der deutschen Grenze wurde er allerdings aufgegriffen. Seither sitzt er in der Schweiz fest. Sein Asylgesuch wurde zwar negativ beantwortet. Aber Jajov hat Krebs und kann darum in der Schweiz bleiben.
Als abgewiesener Asylbewerber wohnt er nun seit vielen Jahren in einem kleinen Zimmerchen und lebt von Nothilfe, das heisst: von 8 Franken pro Tag. Das reiche ihm vollkommen, sagt er. Er sei der Schweiz sehr dankbar für alles, was sie für ihn tue. Jeden Abend betet er. Offenbar glaubt er, dass wir in einer Zeit leben, in der Beten hilft.