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Dubiose Versicherungsklauseln Senioren mit Selbstbehalt bei der Reiseversicherung

Ein «Espresso»-Hörer staunte nicht schlecht, als ihm die Reiseversicherung ERV nach der Annullation einer Kreuzfahrt einen Selbstbehalt von zehn Prozent abzog. Die Begründung: Über 65-jährige müssten bei einer Annullation diesen Selbstbehalt übernehmen. So stehe es im Kleingedruckten.

Auf die siebentägige Kreuzfahrt im Mittelmeer im März hatte sich das Ehepaar aus dem Kanton Bern sehr gefreut. Ein positiver Corona-Test machte die Reise jedoch unmöglich: «Da dachte ich: Zum Glück habe ich eine Reiseversicherung», erzählt der «Espresso»-Hörer.

Doch er hatte sich zu früh gefreut, denn seine Reiseversicherung, die ERV, zog von den Annullationskosten in der Höhe von 4500 Franken einen 10-prozentigen Selbstbehalt für über 65-Jährige ab. «Ich traute meinen Augen nicht, da werden doch Senioren diskriminiert.» Als er bei der Versicherung reklamierte, hiess es lapidar: Das stehe so in ihren Allgemeinen Versicherungsbedingungen.

Klausel ist nicht diskriminieren, aber kundenunfreundlich

Tatsächlich steht im Kleingedruckten der ERV ziemlich umständlich: Wenn eine Reise wegen Krankheit oder Unfall einer über 65-jährigen Person abgesagt wird, dann werde ein Selbstbehalt von zehn Prozent abgezogen. Sind solche Klauseln zulässig? Bernhard Waldmann ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Fribourg. Er sagt, es gebe zwar ein Altersdiskriminierungsverbot in der Verfassung, aber dies gelte nicht für private Versicherungen.

Wenn sich versicherungsmathematisch belegen lässt, dass über 65-Jährige mehr Reisen wegen Unfall oder Krankheit annullieren, dann ist dies zulässig.
Autor: Bernhard Waldmann Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität Fribourg

«Wenn sich versicherungsmathematisch belegen lässt, dass über 65-Jährige mehr Reisen wegen Unfall oder Krankheit annullieren, dann ist dies zulässig.» Ein bekanntes Beispiel seien die Autoversicherungen, wo Junglenker höhere Prämien bezahlen müssten als 40-Jährige.

Selbstbehalt für Senioren ist wenig verbreitet

Das Konsumentenmagazin «Espresso» will auch von der ERV wissen, warum sie eine solche Klausel in ihrem Kleingedruckten hat. Die Medienstelle schreibt: «Das Krankheits- und Unfallrisiko ist bei über 65-Jährigen deutlich höher als bei unter 65-Jährigen. Um allen Versicherten unabhängig ihres Alters günstige Prämien anbieten zu können, haben wir bei der erwähnten Altersgruppe einen Risikoausgleich in Form dieses Selbstbehalts geschaffen.»

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Ältere Versicherte könnten ja die Variante Comfort der Reiseversicherung abschliessen. Dort gebe es keinen Selbstbehalt. Allerdings ist diese knapp 100 Franken teurer. Das kommt für den «Espresso»-Hörer nicht in Frage. Er hat bei der Konkurrenz eine neue Reiseversicherung abgeschlossen, bei der es gar keinen Selbstbehalt gibt.

Die ERV steht mit diesem Selbstbehalt sowieso ziemlich allein da. «Espresso» hat bei drei Konkurrenten nachgefragt: Axa und Mobiliar verrechnen gar keinen Selbstbehalt, die Allianz nur bei der günstigsten Reiseversicherung. Dieser gilt aber für alle und nicht nur für Senioren.

Espresso, 29.09.22, 08:13 Uhr

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