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Mehr Kulanz möglich? SBB-Busse: «Easy Ride» 34 Sekunden zu spät gestartet

Regelmässig werden ÖV-Passagiere gebüsst, die ihr E-Ticket einige Sekunden zu spät gelöst haben. Ginge es kulanter?

Wieder ein Fall zum Kopfschütteln: Ein junger Mann erwischt im Bahnhof Oerlikon gerade noch den Zug. Beim ersten Versuch hat die Funktion «Easy Ride» in der SBB-App Mühe, den Passagier zu orten. Beim zweiten Versuch klappt es. Doch der Zug ist bereits losgefahren. Bei der Billettkontrolle zeigt die App an, dass «Easy Ride» 34 Sekunden zu spät aktiviert wurde. Der Mann muss 100 Franken bezahlen für «Check-in zu spät aktiviert». Ziemlich pingelig, aber Diskutieren bringt nichts.

Als die Rechnung im Briefkasten liegt, ruft der Betroffene beim SBB-Kundencenter an. Nachdem er den Vorfall nochmals geschildert hat, wird ihm der Strafzuschlag «aus Kulanz» erlassen. Es bleibt aber eine Umtriebsgebühr von 30 Franken. Immer noch so viel wie eine Parkbusse. Und das wegen 34 Sekunden! Der junge Mann fragt sich, ob nicht noch mehr Kulanz möglich wäre, wenn jemand derart offensichtlich nicht ohne gültiges Billett fahren wollte.

Die Bussen – offiziell Zuschläge genannt – im öffentlichen Verkehr in der Schweiz regelt die Branchenorganisation Alliance Swisspass. Gemäss der geltenden Regelung muss ein Fahrausweis vor der tatsächlichen Abfahrt des Zugs, Busses oder Trams «vollständig gelöst» sein. Ausnahmslos.

Es gibt ja eine Kulanzlösung.
Autor: Susanna Wittwer Klingler Sprecherin Alliance Swisspass

Immer wieder landen solche «Sekunden-Entscheide», wo das elektronische ÖV-Billett nur wenige Sekunden zu spät gelöst wurde, in den Medien. Das SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» will von der Alliance Swisspass wissen, weshalb zur Entschärfung des Problems nicht eine Kulanzfrist eingeführt wird. Beispielsweise, dass E-Tickets, welche maximal eine oder zwei Minuten nach Abfahrt gelöst wurden, grundsätzlich noch als gültig betrachtet werden.

«Espresso» ist an Ihrer Meinung interessiert

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Alliance-Swisspass-Sprecherin Susanna Wittwer Klingler betont zunächst: «Es gibt ja eine Kulanzlösung», und diese würden die Transportunternehmen auch wahrnehmen. Dies zeige eine Sichtung der jährlich 800'000 Fälle mit einem Zuschlag. Gemeint ist, dass – wie im geschilderten Fall – der Zuschlag erlassen werde und «nur» 30 Franken Umtriebsgebühr bezahlt werden müssen. Wirklich kulant ist das wohl für viele Betroffene nicht. Sie wollten ja in keiner Weise ohne gültiges Ticket fahren.

Ginge es in klaren Fällen nicht ganz ohne Gebühr?

Beispielsweise eben mit einer national geregelten Kulanzfrist von einer bis zwei Minuten? Es bleibe immer die Frage, wo man die Abgrenzung mache, meint Susanna Wittwer Klingler: «Auch wenn wir zwei Minuten Kulanz gewähren und das Ticket wurde zwei Sekunden zu spät gelöst, würde die betroffene Person sagen: Weshalb seid ihr nicht kulanter?» Zudem sei eine generelle Kulanzlösung schwierig, wenn die Stationen weniger als zwei Minuten auseinanderliegen. Die aktuelle Lösung sei für alle Reisenden einheitlich und nachvollziehbar.

Dennoch bleibt die aktuelle Situation mit den «Sekunden-Bussen» im ÖV unbefriedigend, nicht zuletzt auch für das Kontrollpersonal, welches die Regelung durchsetzen muss. Die Alliance Swisspass tönt zumindest an, dass dies den ÖV-Betrieben bewusst sei und diese Praxis nicht auf ewig in Stein gemeisselt: «Jetzt gilt die Regelung, die wir haben. Aber wir schauen uns die Fälle an, die auftauchen, und was es dabei für Möglichkeiten gäbe.» Man darf gespannt sein, ob die Mitglieder der Alliance Swisspass eine weniger pingelige Lösung finden werden.

Espresso, 24.08.23, 08:10 Uhr

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