Sie trägt einen violetten Schal über den Schultern und violette Hosen. Bluse, Schuhe und Tasche sind gelb. Dazu roter Lippenstift und Silberschmuck. Valeria Huber (Name geändert) fällt mit ihrem extravaganten Stil sofort auf. Häufig bekomme sie deshalb Komplimente von Unbekannten, sagt die 47-Jährige. Das freut sie: «Es ist sicherlich auch ein Grund, weshalb ich kaufe.»
Valeria Huber ist süchtig – nach Kleidern und Kosmetikartikeln. Rund 1000 Franken gibt sie monatlich dafür in Läden aus. Wenn ihr etwas gefalle, könne sie kaum widerstehen: «Es ist wie ein Zwang.»
Mehr Kaufsüchtige als Alkoholabhängige
Rund 5 Prozent der Bevölkerung leidet an Kaufsucht. Dies zeigt eine Umfrage des Schweizer Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung von 2020. Somit würden heute rund 450'000 Personen als kaufsüchtig gelten. Zum Vergleich: Alkoholabhängig sind laut Bundesamt für Gesundheit bis zu 300'000 Personen.
Ab wann gilt Shoppen als Sucht? Dafür müssen drei Kriterien erfüllt sein, sagt Renanto Poespodihardjo. Er ist leitender Psychologe im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel. «Das wichtigste Kriterium ist, dass die Kaufsucht immer einen Schaden verursacht», sagt er. Häufig hätten Betroffene Schulden oder Konflikte mit Angehörigen.
Trotzdem könnten sie nicht von ihrem Verhalten abweichen. Und: Ihre Gedanken kreisen ums Shoppen: «Betroffene beschäftigen sich übermässig stark mit dem Thema», sagt der Experte. Häufig versuchten sie, mit ihrer Sucht negative Gefühle wie Einsamkeit oder Trauer zu überdecken.
30'000 Franken Schulden
Die Kaufsucht begleitet Valeria Huber schon jahrelang. Sie wächst in einem Haushalt auf, in dem Mode sehr wichtig ist. Ihr Vater kauft ihr jeweils etwas, um sich bei ihr zu entschuldigen. Schon als Kind habe sie Sonntage gehasst, weil alle Läden geschlossen waren.
Die Gedanken an die Schulden begleitet mich permanent.
Später macht sie wegen ihrer Kaufsucht Schulden und muss insgesamt 30'000 Franken zurückzahlen. Ihre Familie schiesst ihr das Geld vor. Und es gelingt ihr, die Summe zu begleichen. Doch die Belastung ist riesig: «Die Gedanken an die Schulden begleiten mich permanent. Es fühlt sich körperlich richtig schwer an.»
Shoppen gilt als etwas Positives
Anders als Alkohol- oder Drogensucht gilt die Kaufsucht offiziell nicht als Krankheit. Häufig werde sie nicht richtig ernst genommen, sagt Poespodihardjo. Dies liege daran, dass die Gesellschaft Shoppen als positiv wahrnehme – schliesslich kurble der Konsum die Wirtschaft an. «Und dieses hochbewertete Kaufen mit einer psychischen Krankheit zu verbinden, ist wie der Teufel, der das Weihwasser scheut: Es darf nicht sein.»
Jährlich melden sich im Zentrum für Abhängigkeitserkrankungen etwa 15 Personen mit Kaufsucht an – bei Zehntausenden Betroffenen sind das eher wenig. Laut Poespodihardjo ist es daher wichtig, besser über die Suchterkrankung zu informieren: «Wir müssen den Betroffenen sagen, dass es Hilfe gibt.» Und dass sie etwas bewirke.
Auch Valeria Huber hat sich Unterstützung geholt: Sie besucht neu eine Selbsthilfegruppe, wo sie sich mit anderen Betroffenen austauscht. «Hier fühle ich mich verstanden», sagt sie. Gerne möchte sie eine Therapie beginnen.
Jahrelang habe sie ihre Sucht verdrängt. Diese möchte sie nun in den Griff bekommen, um ihrem Kind ein gutes Vorbild zu sein: «Mein Ziel ist es, dass ich es schaffe.»