Egal, ob man sich auf Englisch siezt oder duzt, man spricht sich immer mit «you» an. Wird ein englischer oder amerikanischer Film synchronisiert, ist dies etwas komplizierter. «Wann sprechen sich die Figuren mit <Sie>, wann mit <du> an? Und wer entscheidet das?», möchte ein Filmfan aus dem Kanton Zug wissen.
Nachgefragt bei einem der grössten deutschen Synchronstudios, der FFS Film-& Fernseh-Synchron GmbH. Dort wurden schon Blockbuster wie «Harry Potter», die Erfolgsserie «Game of Thrones» oder der Oscar-Gewinner «Oppenheimer» auf Deutsch synchronisiert.
Christian Weygand arbeitet regelmässig für das Synchronstudio. Er ist seit über 40 Jahren Synchronsprecher, übersetzt Drehbücher auf Deutsch, schreibt die Synchronfassungen dazu und führt Regie bei den Synchronisierungen im Tonstudio.
Die Entscheidung liegt beim Autor – aber nicht nur
Als Autor der Synchronfassung erhalte er das Originalskript und schaue sich den ganzen Film oder wenn möglich den grössten Teil der Serie an, erzählt Weygand. Dabei macht er sich Gedanken, wie die einzelnen Figuren zueinanderstehen und wie sich ihr Verhältnis entwickelt.
Dann entscheidet er, wer sich siezt, wer sich duzt und wer sich erst zu einem späteren Zeitpunkt mit «du» anspricht. Manchmal schickt die Produktionsfirma im Vorfeld schon eine Liste mit den einzelnen Figuren und ihrem Verhältnis zueinander. Die Produktionsfirma redet ab und zu auch noch ein Wörtchen mit, wenn sie zum Beispiel mit einer Übersetzung nicht ganz einverstanden ist.
Ist der Kuss so bedeutend, dass man vom <Sie> zum <Du> übergehen kann? Manchmal gibt es ja auch Küsse, bei denen es beim <Sie> bleibt.
Sogar, wenn eine Situation offensichtlich wirke, wie bei einer Kussszene, müsse man genau hinschauen, sagt der Autor. «Ist der Kuss so bedeutend, dass man vom <Sie> zum <Du> übergehen kann? Manchmal gibt es ja auch Küsse, bei denen es beim <Sie> bleibt.» Zum Beispiel, wenn die Chefin den Mitarbeiter nach der Weihnachtfeier küsst, weil beide zu viel getrunken haben. «Man muss jede Situation individuell anschauen», so Weygand. Das «Du» oder «Sie» müsse zur Situation und zur Figur passen.
In der Schweiz duzt man sich schneller
Dem Zuger Filmfan ist aufgefallen, dass sich viele Protagonistinnen und Protagonisten in der deutschen Synchronfassung auch dann siezen, wenn sie eigentlich ein vertrautes Verhältnis haben. «Müssten die sich nicht duzen?»
Christan Weygand verneint. Das habe möglicherweise eher damit zu tun, dass man sich in der Schweiz schneller duze als in Deutschland. «Das ist wohl ein sprachkulturelles Phänomen.» In Schweden duze man sogar den Polizisten. «In diesem Kontext passt das <Du> auf Deutsch aber nicht.» Deshalb werde der Polizist in der Synchronfassung gesiezt.
Einmal hatte ich ein <Sie>-Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau. Erst in Folge 10 wurde klar, dass der Mann der Onkel der Frau war.
Den deutschen Autoren gelinge es ganz gut, das «you» in den richtigen Kontext zu setzen und korrekt mit «Sie» oder «du» zu übersetzen, findet Weygand.
Blöd sei nur, wenn man noch nicht alle Folgen einer Serie gesehen und keine Anhaltspunkte zum Verhältnis der Figuren habe. Meistens bekomme man nicht alle Folgen gleichzeitig und müsse jede Folge nach Erhalt sofort bearbeiten. «Einmal hatte ich ein <Sie>-Verhältnis zwischen einem Mann und einer Frau. Erst in Folge 10 wurde klar, dass der Mann der Onkel der Frau war.» Zum Glück seien es nur wenige Takes gewesen, die dann noch einmal bearbeitet und mit «du» synchronisiert werden mussten.