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Versicherungsärger Kuh kickt Bauer – Axa kneift

Das kaputte Knie eines Landwirts muss zweimal operiert werden. Bei der zweiten OP verweigert die Versicherung ihm aber das Taggeld. Was beim Arzt und einem Rechtsexperten Kopfschütteln auslöst.

Es passiert im Juni 2021 auf der Seealp. Der 60-jährige Landwirt Albert Streule verbringt den Sommer jeweils dort, ausserhalb der Alpsaison bewirtschaftet er einen kleinen Landwirtschaftsbetrieb in der Nähe von Appenzell.

Zusammen mit seinem Sohn ist er an jenem Tag auf der Alp am Melken. Streule geht hinter einer Kuh durch. Diese erschrickt offenbar, schlägt nach hinten aus und trifft voll das Knie des Bauern.

Brandschwarzes Knie

«Das Knie wurde brandschwarz», erinnert sich Albert Streule im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Dank Schmerzmitteln habe er nach dem Unfall mehr oder weniger gut weiterarbeiten können. «Man muss als Bauer einfach durchhalten, solange es geht.» Irgendwann ging es aber nicht mehr. Sein Arzt entscheidet: Es braucht einen ambulanten Eingriff, um das Knie wieder einigermassen herzustellen. Der Landwirt ist danach etwa drei Monate lang arbeitsunfähig und braucht Unterstützung auf seinem Hof.

Für solch schwierige Situationen hat Streule bei der Axa eine Taggeldversicherung abgeschlossen. Nebst diversen anderen Versicherungen, notabene, wie etwa Motorfahrzeugversicherungen, einer Gebäude- und einer Rechtsschutzversicherung. Alles in allem kommen Prämien von gut 10'000 Franken pro Jahr zusammen, die der Bauer der Axa seit vielen Jahren überweist.

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Nach dieser ersten Operation zahlt die Axa die Taggelder während seiner mehrmonatigen Zwangspause anstandslos. Auch bei früheren Verletzungen und Unfällen habe es mit dem Taggeld ebenfalls immer bestens geklappt, so Streule. Die Behandlungskosten bei Unfällen sind bei ihm über die Krankenkasse (nicht bei der Axa) abgedeckt.

Axa lässt ihn nach zweiter OP im Stich

Die Schmerzen seien nach dem ersten Eingriff geblieben, erzählt der Bauer. Und es kommt noch schlimmer: «Auf einmal war mein Knie massiv geschwollen, voller Wasser. Der Arzt hat einen halben Liter rausgezogen.» Der Mediziner entscheidet: Der Mann braucht eine Knieprothese.

Erneut wird Streule also operiert. Wieder fällt er monatelang aus und muss Aushilfen beschäftigen, um seinen Betrieb weiter am Laufen zu halten. Doch diesmal lässt ihn die Axa im Regen stehen. Sie verweigert die Leistung. Begründung: Diese OP sei nicht auf den Kuhtritt zurückzuführen, sondern auf eine Arthrose, eine Abnützung des Kniegelenks.

Orthopäde und Rechtsexperte sehen Axa in der Pflicht

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Auch eine Reihe von Fachleuten ist der Meinung, dass die Axa ihrem Kunden zu Unrecht die Taggeldzahlung verweigert. Angefangen bei seinem Nachbarn: Der – kürzlich verstorbene – einstige Kadermann einer grossen Krankenkasse konnte nicht nachvollziehen, weshalb sich die Versicherung nach der zweiten Operation aus der Verantwortung gestohlen hat. Er unterstützte den Bauern dabei, sich gegen den Entscheid zu wehren.

Als die beiden bei der Versicherung auf Granit bissen, meldete sich der Nachbar mit der Geschichte bei «Espresso».

Support gibt es auch seitens der Krankenkasse des Betroffenen und nicht zuletzt vom behandelnden Arzt, dem renommierten Orthopäden Johannes Keel. Zwar habe man Arthrose festgestellt, sagt er, «aber der Grund für beide Operationen ist klar der Tritt dieser Kuh gegen sein Knie».

Sowohl die Krankenkasse als auch der Orthopäde tun das der Axa auch schriftlich kund. Und Sozialversicherungsexperte Ueli Kieser doppelt nach Einsicht in die Unterlagen nach: «Es gibt hier eine Leistungspflicht der Axa.»

Damit kommt ein sogenannter Vorbehalt zum Zug, quasi das Kleingedruckte in der Police seiner Taggeldversicherung. Bei dem Mann wurde tatsächlich vor einigen Jahren Arthrose im Kniegelenk festgestellt. Und die Axa hat schriftlich festgehalten, dass man keine Leistung erbringen werde, falls der Kunde wegen Arthrose operiert werden sollte.

«Ich finde, dieses Geld steht mir zu»

Der langjährige Axa-Kunde kann das nicht nachvollziehen. Auch die zweite Operation sei doch eindeutig auf den Kuhtritt zurückzuführen, also auf den Unfall und nicht auf die Arthrose. Diese habe ihm nie Schmerzen bereitet.

Axa: «Sind bereit, den Fall neu aufzurollen»

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Nach einer ersten Anfrage des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» bleibt die Versicherung noch dabei: Der zweite Eingriff sei auf Arthrose zurückzuführen. Die beratenden Ärzte seien nach eingehender Prüfung aller Unterlagen klar zu diesem Schluss gekommen.

Beim Nachfassen von «Espresso» zeigt sich Mediensprecherin Simona Altwegg erstaunt über die klare Aussage des behandelnden Arztes Johannes Keel gegenüber «Espresso». Ihre Fachleute seien bislang davon ausgegangen, dass auch er die Arthrose für den zweiten Eingriff bei Albert Streule verantwortlich gemacht habe. Und nicht zuletzt habe im Operationsbericht als Diagnose Kniegelenksarthrose gestanden: «Wenn er jetzt sagt, die zweite Operation sei eindeutig eine Folge des Unfalls und die vorher diagnostizierte Kniegelenksarthrose sei noch nicht so weit fortgeschritten gewesen, dass man das Knie hätte operieren müssen, dann überrascht das unsere Ärzte.»

Dies wiederum überrascht das «Espresso»-Team. Diesem liegt ein Mail des Arztes vom Januar 2023 vor, in dem er der Axa ausdrücklich mitgeteilt hat, dass er auch die zweite OP als Unfallfolge ansieht.

Die Axa sei aber nun bereit, den Fall neu aufzurollen, sagt die Mediensprecherin, allerdings unter einer Bedingung: Der Arzt des Kunden müsse die Sicht der Axa plausibel widerlegen. Das werde er machen, verspricht Johannes Keel gegenüber «Espresso».

Durch die Ablehnung der Axa entgehen ihm geschätzt rund 9000 Franken an Taggeldern – viel Geld für einen Bauern mit einem schmalen Budget. Dass er wegen der misslichen Situation nicht in allzu grosse finanzielle Nöte geraten ist, sei seinem Sohn zu verdanken, der ihn tatkräftig und unentgeltlich unterstützt habe. Von der Versicherung fühlt sich Streule unfair behandelt: «Ich finde, dieses Geld steht mir zu.»

Update vom Oktober 2024: Doch noch ein Happy End

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Nach monatelangem Hin und Her und nachdem sich «Espresso» eingeschaltet hatte, kommt die Axa auf ihren Entscheid zurück. Landwirt Albert Streule erhält das Taggeld in der Höhe von mehr als 11'000 Franken doch noch ausbezahlt. «Ich freue mich natürlich riesig und bin glücklich», sagt der Appenzeller Bauer.

Axa begründet die Kehrtwende damit, dass der ursprüngliche Entscheid falsch gewesen sei: «Weil wir unsere Leistungspflicht zuvor abgelehnt haben – was gemäss jetzigem Kenntnisstand nicht korrekt war – haben wir die Leistung im vollen Umfang erbracht.»

Espresso, 06.11.2023, 08:10 Uhr

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